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Öffentlicher Verkehr

Kinder und Erwachsene ohne Handy landen auf dem Abstellgleis: SBB & Co. wollen Mehrfahrtenkarte 2025 abschaffen

Geht es nach der ÖV-Branche, soll die Mehrfahrtenkarte 2025 abgeschafft werden. Der Grund: Billette zum Stempeln werden immer seltener verkauft. Das Problem dabei: Kinder und Erwachsene ohne Handy landen damit auf dem Abstellgleis. Nun regt sich Widerstand.
Bald in Archivbild? Geht es nach den Betreibern des öffentlichen Verkehrs, werden Mehrfahrtenkarten (und damit die Stempelautomaten) 2025 abgeschafft.
Bild: Bild: Keystone

Die Bahn in der Schweiz gilt international als superpünktlich. Entsprechend ehrgeizig ist auch der Fahrplan im öffentlichen Verkehr (ÖV) hierzulande.

Doch nun schiesst die ÖV-Branche mit ihrem Fahrplan zur Abschaffung der Mehrfahrtenkarte womöglich über das Ziel hinaus. Zumindest wenn es nach den davon am stärksten betroffenen Kreisen geht, den Kindern und Jugendlichen sowie den Menschen ohne Handy.

«Kinder dürfen nicht in der Selbstständigkeit eingeschränkt werden», stellt Anja Meier von Pro Juventute gegenüber CH Media klar. Doch genau dieser Fall droht einzutreten, wenn es nach SBB und Co. geht. Denn virtuelle Mehrfahrtenkarten, wie sie etwa das Bernische Bahnunternehmen BLS bereits anbietet, setzen ein Handy voraus. Und die SBB als grösster ÖV-Anbieter im Land hat sie noch gar nicht im Angebot.

Konsumentenschutz: Ohne Alternative «nicht akzeptabel»

«Solange es keine anderen Lösungen gibt für Kinder und Personen, die nicht digital unterwegs sind, ist das nicht akzeptabel», sagt Sara Stalder. Laut der Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz «muss der öffentliche Verkehr für alle da sein – und das zu den gleichen Konditionen für alle».

Die Bedenken der Stiftung für Konsumentenschutz gegenüber der Digitalisierung im öffentlichen Verkehr sind dabei grundsätzlicher Natur. So verlangte die Organisation zusammen mit Caritas, IGöV, VASOS und VCS erst am Montag von der ÖV-Branche, «die digitale Weiterentwicklung von Tarifen und Tickets» müsse «für alle Menschen in der Schweiz gewährleistet bleiben» – und das «mit transparenten und verständlichen Preisangaben». Denn der ÖV sei ein klassischer Fall einer Service-Public-Dienstleistung und dürfe darum keinesfalls eingeschränkt werden.

Zuerst über die Abschaffung der Mehrfahrtenkarte berichtet hat am Mittwoch der «K-Tipp» . Laut der Recherche der Konsumentenzeitschrift soll das Ende der Stempelkarten wie folgt ablaufen: Ab kommendem Dezember sollen alle verkauften Stempelkarten den 13. Dezember 2025 als fixes Ablauf­datum aufgedruckt erhalten. Sprich: Mehrfahrtenkarten sind dann nicht mehr zwingend wie heute ein Jahr lang gültig, sondern allenfalls nur noch ein paar Monate oder Wochen.

Am 13. Dezember 2025 soll Schluss sein

SBB und Co. begründen die Abschaffung der Mehrfahrtenkarten damit, es lohne sich nicht mehr, diese anzubieten. Doch das scheint nur die halbe Wahrheit zu sein. Denn immerhin sind vergangenes Jahr noch über 6,3 Millionen Stempelkarten verkauft worden, wie der «K-Tipp» mit Blick auf Zahlen der Verkehrsverbünde schreibt. Allein der Berner Verkehrsverbund Libero hat demnach etwa zwei Millionen Stempelkarten abgesetzt.

Dem hält die Branchenorganisation Alliance Swiss­pass entgegen: «Gemessen an der Gesamtzahl der Billette sind 6,3 Millionen Stempelkarten wenig.» Diese Zahl mag auf den ersten Blick gering erscheinen, in ihrer Absolutheit sind das jedoch über 6 Millionen Menschen, die vom Dienstleistungsabbau betroffen sind.

Ein Handy für jedes Kind, das alleine in den ÖV will?

Und die Frage bleib offen, wie denn Kinder und Jugendliche oder Menschen ohne Handy – darunter befinden sich laut Statistik auch zahlreiche Seniorinnen und Senioren – künftig Zug, Tram und Bus oder Postauto fahren sollen.

In diese Kerbe haut im K-Tipp denn auch der Verband alleinerziehender Mütter und Väter: «Viele Kinder können kein Billett auf dem Handy kaufen», wird Präsidentin Yvonne Feri zitiert. Und weiter kritisiert die frühere Aargauer SP-Nationalrätin: «Es ist unerhört, dass die SBB diese Realität einfach ignorieren.»

Heute können Kinder ab 6 Jahren, wenn sie alleine mit dem ÖV beispielsweise in das Fussballtraining oder zum Reiten fahren, selber eine Mehrfahrtenkarte stempeln. Geht es nach SBB und Co. soll das künftig nicht mehr möglich sein. Oder nur noch, wenn sie – wie alle anderen ÖV-Nutzenden auch – ein eigenes Handy haben, das mit dem Internet verbunden ist und die zurückgelegte Strecke im ÖV trackt.

In einer ersten Version dieses Textes wurde die Information des «K-Tipp» übernommen, dass die Verkehrsbetriebe Luzern (VBL) schon früher die Mehrfahrkarten einstellen werden. Die VBL dementieren diese Meldung auf Nachfrage, darum wurde die entsprechende Passage gelöscht.