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Grossbritannien

Kemi Badenoch neue Chefin der Tories

Kemi Badenoch ist neue Chefin der Konservativen Partei und damit Oppositionsführerin in Grossbritannien. Die Parteimitglieder wählten die 44-Jährige zur Nachfolgerin von Ex-Premierminister Rishi Sunak, wie die Tory-Partei in London mitteilte.

Eine Frau mit schwarzafrikanischen Wurzeln ist die neue Oppositionsführerin in Grossbritannien. Am Samstag kürten die stark dezimierten Konservativen die 44-jährige Kemi Badenoch zur neuen Parteichefin. Die in Nigeria aufgewachsene frühere Handelsministerin entschied die Urwahl der Mitglieder mit 56,5 Prozent der Stimmen für sich.

Kemi Badenoch soll die Konservative Partei in Grossbritannien mit einem harten Rechtskurs zurück in die Regierung führen.
Bild: Andy Rain / EPA

In ihrer fünfminütigen Antrittsrede lobte die neue Chefin nicht nur ihren Gegenspieler, den Ex-Staatssekretär Robert Jenrick, sowie ihren Vorgänger im Parteiamt Rishi Sunak, der als Premierminister Anfang Juli von den Wählern aus dem Amt gejagt worden war. Ohne Einzelheiten zu nennen sprach sie auch davon, ihre Partei habe «Fehler gemacht» und «Standards vernachlässigt» – eine klare Anspielung auf die Lockdown-Partys unter Premier Boris Johnson und das ökonomische Chaos der Kurzzeit-Regierungschefin Liz Truss.

Bereits wenige Minuten nach der Bekanntgabe des knappen Ergebnisses gratulierte Vorgänger Johnson der neuen Frau zur Wahl und rief die Konservativen zur Einigkeit auf. Glückwünsche kamen auch von Labour-Premier Keir Starmer: Die erstmalige Wahl einer Schwarzen zur Chefin einer landesweiten Partei sei «ein stolzer Moment für unser Land». Er werde mit der neuen Oppositionsführerin «zum Wohl des britischen Volkes» zusammenarbeiten.

Von Nigeria nach Grossbritannien

Die Tochter einer Uni-Dozentin und eines Arztes wurde zwar in London geboren, wuchs aber in Nigeria auf. Erst für die letzten beiden Schuljahre kehrte Olukemi Olufunto Adegoke auf die Insel zurück, machte ihr Abitur und absolvierte ein Ingenieurstudium an der Uni Sussex im südenglischen Brighton. Dort hätten «dumme weisse Linke» sie noch konservativer gemacht, als sie ohnehin schon war, hat Badenoch berichtet.

Obwohl die Frau eines schottischen Bankers und Mutter der drei gemeinsamen Kinder erst 2017 ins Unterhaus einzog, konnte sie wegen der Brexit-Turbulenzen rasch Karriere machen. Sie hat sich einen Namen als kompromisslose Kämpferin für ihre Positionen gemacht, wies kritische Journalistenfragen als «gruselig» zurück und zog die Bedeutung von Elterngeld in Zweifel. Kritiker bezichtigen Badenoch, sie sei in der Lage «in einem leeren Zimmer Streit» anzufangen.

Badenochs Kritiker und ihr Ruf als Kämpferin

Nach Sunaks Rücktritt als Parteichef am Tag nach der Unterhauswahl hatten sich sechs Unterhaus-Abgeordnete um seine Nachfolge beworben. Von Anfang an galt Badenoch als Favoritin. Für sie sprachen nicht nur Geschlecht, Ethnie und Alter; sie hat sich auch als Kämpferin gegen echte oder vermeintliche politische Korrektheit einen Namen gemacht und damit bei den 131'000 Parteimitgliedern eingeschmeichelt, auf deren Votum es am Ende ankam.

Die Mitglieder selbst positionieren sich einer Studie der Londoner Queen Mary-Universität (QMU) zufolge deutlich weiter rechts von der Mitte des Parteienspektrums ein als die Fraktion im Unterhaus, geschweige denn die Mehrheit der Bevölkerung. Zu Badenochs wichtigsten Aufgaben zählt deshalb nicht nur, den Kampfesmut und die Disziplin der Parlamentarier zu erhöhen. Sie wird auch ihren Parteimitgliedern manche Kröte zumuten müssen, wenn die Partei den Weg zurück in die Mitte finden will. Ideologisch reine Parteien haben im britischen Mehrheitswahlrecht wenig Chancen.

Freilich schielen nicht wenige Abgeordnete und Mitglieder eher nach Rechtsaussen als weiter in die Mitte. Dort hat der Nationalpopulist Nigel Farage seiner Reform-Party im Juli nicht nur zu respektablen 14 Prozent verholfen; eifrig sind Farages Leute auch dabei, die bisherige Firma (Mehrheitseigner: Nigel Farage) in eine Partei mit Ortsvereinen umzubauen. Bei der englischen Kommunalwahl im Mai will Reform sowohl der Labour-Regierung wie auch den Torys ernsthafte Konkurrenz machen.

Wohin führt Badenoch die Konservativen?

Wie Badenoch mit dieser Herausforderung umgeht, dürfte für ihr politisches Schicksal entscheidend sein. Wer ihre bisherigen Positionen zugrunde lege, analysiert QMU-Professor Tim Bale, müsse einen weiteren Rechtsruck erwarten: «Sie wird die Partei noch weiter ins radikalrechte, populistische Ende des politischen Spektrums führen – noch mehr gegen ‹woke›, gegen Immigration, skeptisch gegenüber der Klimapolitik.» Es sei denn, so Bales Einschränkung, die neue Chefin entschliesse sich zu inhaltlichen Kehrtwendungen.

QMU-Professor Tim Bale.
Bild: ZVG

Vorgemacht hat ihr diesen Weg der heutige Premierminister: Als gemässigter Linker zum Labour-Chef gewählt machte sich Keir Starmer von 2020 auf den Weg zu innerparteilich deutlich rechter angesiedelten Positionen, getreu dem Motto: Die schönsten radikalen Parolen führen nicht zur Wählbarkeit.

Die Zusammenstellung ihres Schattenkabinetts dürfte in den nächsten Tagen Hinweise darauf geben, wie sehr Badenoch die Versöhnung der zuletzt tief zerstrittenen Partei am Herzen liegt. Schon haben zwei Veteranen der jüngsten Tory-Kabinette ihren Rückzug auf die Hinterbänke des Parlaments angekündigt. Ex-Aussen- und Innenminister James Cleverly zählt ebenso zum eher gemässigten Lager der Konservativen wie der frühere Umwelt- und Gesundheitsminister Steve Barclay.