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EU? Gähn!

Jugend ohne Europa – oder: Das Versagen von Politik und Medien

Die junge Generation ist deutlicher denn je gegen einen EU-Beitritt der Schweiz. Es scheint überhaupt, dass sie das Interesse an der Europafrage verloren hat. Die Bubble der Parteien, Lobbys und Medien muss über die Bücher.

Lange her: Jugendliche demonstrieren nach dem EWR-Nein 1992.
Bild: Lukas Lehmann / Keystone

Am Tag nach dem Volks-Nein zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) trugen an der Kantonsschule Baden einige Schüler eine schwarze Trauerbinde am Arm. Ich erinnere mich gut an jenen 7. Dezember 1992. Wut, Niedergeschlagenheit und Ohnmacht herrschten vor über das knappe Volksverdikt. 50,3 Prozent Nein, es war zum Auswandern. W

enige Wochen davor hatte in der proppenvollen Aula eine Veranstaltung stattgefunden unter anderem mit Christoph Blocher und ABB-Chef Edwin Somm. Es ging hoch zu und her, wie an einem Fussballmatch, obwohl die meisten noch gar nicht abstimmen durften. Leidenschaft pur.

«Junge zeigen EU die kalte Schulter», dieser Satz war gestern auf Radio SRF zu hören, das über einen «dramatischen Meinungsumschwung» bei den 18- bis 34-Jährigen berichtete. Hätten in den 1990er-Jahren noch 60 Prozent einen EU-Beitritt befürwortet, seien es inzwischen nur noch 6,5 Prozent, weniger als in jeder anderen Altersgruppe. Unvermeidlich wurde Politgeograf Michael Hermann um eine Deutung gebeten. Er sagte: «Die Jungen wurden politisch sozialisiert, als der Beitritt vom Tisch war. Darum ist der Beitritt für sie kein Herzensthema mehr.»

Das klingt plausibel. Wahrscheinlich kann man aber noch weiter gehen. Nicht nur der Beitritt ist keine Herzensangelegenheit, die Jungen interessieren sich generell kaum mehr für das Verhältnis der Schweiz zur EU. Gab es irgendwo eine proppenvolle Aula, in der über das Rahmenabkommen gestritten wurde? Nein. Europa ist für die Jugend kein Projekt, kein Thema mehr.

Meinungsmacher reden an der Generation vorbei, die betroffen ist

Dieser Befund spricht nicht gegen die Jugend. Er spricht gegen die Politik und auch gegen die Medien. Über kaum etwas anderes wurde in den letzten zehn Jahren in der Bubble der Behörden, Parteien, Lobbys und Journalisten so viel debattiert und geschrieben wie über das Verhältnis zur EU. In dieser Bubble gilt als ausgemacht, dass eine geordnete Beziehung zu unserem wichtigsten Handelspartner entscheidend ist für unseren künftigen Wohlstand. Stichworte dazu sind das Forschungsabkommen «Horizon» und die Probleme auf dem Strommarkt.

Nur: Die Meinungsmacher haben an den Jungen vorbeigeredet. Sie führten eine Debatte unter Ausschluss dieser Generation.

Es geht noch nicht einmal darum, ob die Schweiz näher an die EU rücken oder im Gegenteil unabhängiger werden soll. Sondern darum, dass Europa überhaupt als Zukunftsthema erkannt wird. Davon ist man weit entfernt. Zugegebenen, Klima- und Sicherheitspolitik sind dringlicher, ihre Bedeutung leichter zu vermitteln. Bundeskanzler Walter Thurnherr erinnerte letzte Woche in einem Referat an die Volksabstimmung über das Freihandelsabkommen mit der damaligen EWG 1972. Die Bundesverwaltung hatte eine Sprachregelung erarbeitet mit einem Kapitel «Was man in der Aufklärung des Volkes zum Abkommen nicht sagen sollte.» Die Beamten wurden aufgefordert, den Satz zu vermeiden: «Das Abkommen stellt unser Land vor ein schwieriges staatspolitisches Problem.» Sie sollten im Gegenteil betonen: «Das Abkommen stellt uns vor keinerlei schwierige politische Probleme.»

Das Verhältnis zur EU war stets kompliziert, im Inhalt und in der Kommunikation. Aber immerhin war oft ein Schuss Leidenschaft dabei. Der ist verloren gegangen, und das ist fatal. Es kann nicht sein, dass die Europafrage in jener Generation, welche deren Beantwortung letztlich betreffen wird, gar kein Thema mehr ist.