Sidonia Küpfer
«Vom nächsten Mal an werde ich wieder auf der anderen Seite sitzen», sagte Ruedi Jetter vor einer Woche an seiner letzten Gemeindeversammlung als Gemeindeschreiber zum Publikum. 48 Jahre arbeitete Jetter für die Gemeinde Birmensdorf.
1974 wurde Jetter Gemeindeschreiber von Birmensdorf. Seither verfasste er über 1000 Gemeinderatsprotokolle. 387 Geschäfte bereitete er für die Gemeindeversammlung vor, von denen nur gerade acht abgelehnt und vier zurückgewiesen wurden. «Ein kleines Stück dieses Erfolges darf ich mir wohl auch davon abschneiden», sagte er in seiner Rede vor der «Gmeind».
Minuten zuvor war Jetter mit Standing Ovations vom Publikum verabschiedet worden. «Jetzt weiss ich, wie Roger Federer sich fühlen muss», quittierte er den kurzen Moment im Rampenlicht lachend. Denn die meiste Zeit bleiben Gemeindeschreiber im Hintergrund.
Verantwortung des Wissenden
«Es gibt die Rede, der Gemeindeschreiber sei der achte Gemeinderat, dem ist nicht so, aber man hat natürlich in der Vorbereitung die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen», erzählt Jetter über seinen Beruf. «Wir sind diejenigen, die professionell für die Geschäfte zuständig sind, die Gemeinderäte stehen ja voll im Berufsleben», erläutert er. Gerade am Anfang einer Amtszeit befänden sich neue Gemeinderäte manchmal schon in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Gemeindeschreiber. Aber das dürfe man keinesfalls ausnützen, man müsse die Geschäfte neutral präsentieren.
Am Anfang von Jetters langer Laufbahn in der Verwaltung stand eher der Zufall, denn eine aktive Entscheidung: «Ich wusste damals nicht, welchen Beruf ich erlernen sollte. Ich hatte mich bei den SBB beworben, aber weil ich die Haltestellen von Zürich nach Bern nicht aufzählen konnte, flog ich hochkant durch die Aufnahmeprüfung», erzählt er lachend. Die ersten acht Jahre seines Lebens wuchs Jetter in Dietikon auf (seine Grossmutter führte das Restaurant Eintracht), später in Urdorf. Jetters Vater präsidierte den Turnverein Dietikon und kannte von dort den damaligen Birmensdorfer Gemeindeschreiber Werner Job gut. Und so kam es, dass Ruedi Jetter von 1961 bis 1964 seine Lehre auf der dortigen Gemeinde absolvierte.
«Das war meine schönste Zeit»
Nach seiner Ausbildung blieb Jetter Birmensdorf treu. Nur gerade 1967 verbrachte er ein Jahr auf der britischen Kanalinsel Jersey, wo er als Gärtner, Kellner und Barmann arbeitete: «Das war mein schönstes Jahr. Damals konnte ich einfach in den Tag leben», blickt er zurück.
Jetter begleitete in Birmensdorf zahlreiche Grossprojekte: Anfangs waren dies der Bau der Kläranlage oder etwa der Aufbau des Zivilschutzes. Später beschäftigte ihn der Bau des umstrittenen Waffenplatzes, des Gemeinschaftszentrums Brühlmatt oder des neuen Bahnhofs, und natürlich bestimmte das Thema Verkehr viele Jahre seine Agenda.
Finanzen als Herausforderung
Mit der Eröffnung der Westumfahrung und der baldigen Eröffnung der N4 sind die grossen Pfeiler auf diesem Gebiet eingeschlagen. Die künftigen Herausforderungen für die Gemeinde sieht Jetter in finanzpolitischer Hinsicht: «Dieses Jahr können wir nochmals einen gleichbleibenden Steuerfuss beantragen, aber nur, weil die Steuergesetzrevision verschoben und auf den Ausgleich der kalten Progression verzichtet wurde.» Andererseits habe man zuletzt auch neues Bauland eingezont. Daran geknüpft ist auch die Hoffnung auf neue Steuerzahler.
«Man kann mir vorwerfen, ich sei ein Sesselkleber. Aber immerhin erlebte ich vier verschiedene Gemeindepräsidenten. Das ist fast wie ein Stellenwechsel», so Jetter. Die Wechsel im Präsidium empfand er jeweils als stimulierend.
Der Zeitpunkt für einen Wechsel scheint Ruedi Jetter ideal. Mit 64 geht er ein Jahr vor der gesetzlichen Pensionierung in Rente. Damit könne sein Nachfolger, Uwe Krzesinski, gleich die Wahlen durchführen und mit dem neu gewählten Gemeinderat starten. Mit der am Wochenende beschlossenen Revision der Gemeindeordnung schliesse sich für ihn ebenfalls ein Kreis und er könne dem neuen Gemeindeschreiber eine Gemeinde in guter Verfassung übergeben.
Birmensdorfer Kulturmuffel
Der im Limmattal aufgewachsene Ruedi Jetter ist in Birmensdorf längst heimisch geworden. 1982 baute Familie Jetter in Birmensdorf ein Haus. Mittlerweile sind die drei erwachsenen Söhne alle ausgezogenen. Kritikpunkte an Birmensdorf gibt es für ihn wenige, nur eines liegt ihm auf dem Magen: «Die Birmensdorfer sind ein wenig ‹Kulturmuffel›.» Als Mitglied des Kulturkreises fehle ihm manchmal die Beteiligung und das Interesse der Bevölkerung. Viele seien stark auf Zürich ausgerichtet und nähmen die kulturellen Höhepunkte in der eigenen Gemeinde kaum wahr.
Pläne für seine Zukunft hat Jetter noch kaum konkrete. Alle Vorschläge für neue Aufgabengebiete hat er aber vorerst abgelehnt. Zuerst möchte er eine Pause machen. Zudem werden wohl neue Pflichten im Haushalt auf ihn zukommen, denn seine Frau wird vorerst noch weiter arbeiten. Aber er würde gerne seinen Sohn besuchen, der einen Auslandaufenthalt in Australien absolviert.