Normalerweise verläuft die Suche nach einem neuen Mitglied des Supreme Courts in Washington hinter verschlossenen Türen. Donald Trump aber ist kein gewöhnlicher Präsident. Und mit seiner Entscheidung, die Nachfolgerin oder den Nachfolger für den auf Ende Monat zurücktretenden Verfassungsrichter Anthony Kennedy von einer allgemein zugänglichen Liste mit 25 Namen auszuwählen, stellt Trump nun auch dieses Verfahren auf den Kopf.
Offiziell heisst es, dass der Präsident den Namen des Kennedy-Ersatzes am kommenden Montag publik machen werde. Trump allerdings ist berüchtigt dafür, dass er sich nicht an Zeitpläne hält. Deshalb wird das Weisse Haus seit Tagen mit Anrufen einflussreicher Republikaner eingedeckt, die sicherstellen wollen, dass der Präsident auch ihren Standpunkt berücksichtigt. Gemäss gewöhnlich gut informierten Politbeobachtern sind es angeblich zwei Kandidaten, die im Zentrum dieses ungewöhnlichen Auswahlverfahrens stehen. Zum einen: Brett Kavanaugh, ein 53-jähriger Berufungsrichter, der sich seine Sporen als Berater von Präsident George W. Bush abverdiente und der Kennedy nahesteht. Zum andern: Amy Coney Barrett (46), eine ehemalige Rechtsprofessorin, die seit einem halben Jahr als Berufungsrichterin amtiert und einst für Verfassungsrichter Antonin Scalia tätig war.
Nähe zur Familie Bush
Kavanaugh gilt als interner Favorit des Weissen Hauses, weil er die Unterstützung von Trumps Rechtsberater Don McGahn geniesst. Freunde und Alliierte weisen darauf hin, dass Kavanaugh als Berufungsrichter mehr als 300 Urteile verfasst habe, aus denen hervorgehe, dass er ein Konservativer sei, der die Verfassung buchstabengetreu auslege. Die Gegner des Richters allerdings verweisen auf die Nähe Kavanaughs (und dessen Gattin) zur Familie Bush – was ihn in den Augen vieler Republikaner am rechten Parteirand suspekt macht, weil der letzte Präsident Bush alles andere als ein orthodoxer Konservativer war. Auch zitieren die Skeptiker Urteile des Berufungsrichters, in denen er sich zwar der konservativen Linie anschloss, aber deutlich weniger weit, als es aktivistischen Kreisen recht war.
Der republikanische Senator Ted Cruz, der einen guten Draht zum Weissen Haus besitzt, bezeichnete Kavanaugh deshalb in den vergangenen Tagen als «unzuverlässig». Solche Pauschalurteile wiederum stossen den Alliierten des Berufungsrichters sauer auf. So zitierte ein Jurist diese Woche eine Stellungnahme von Miguel Estrada, einem höchst einflussreichen konservativen Anwalt in Washington, der sagte: «All diese Attacken auf Brett Kavanaugh sind verrückt.»
Typisch amerikanische Person
Barrett wiederum ist zwar kein unbeschriebenes Blatt; weil sie ihre Arbeit als Berufungsrichterin aber erst im vergangenen Herbst aufgenommen hatte, gibt es deutlich weniger Urteile, die ihren Namen tragen. Religiöse Konservative verweisen allerdings auf zahlreiche Artikel in rechtswissenschaftlichen Zeitschriften, in denen Barrett Auskunft über ihre Philosophie gab. Aufsehen erregte zudem ihr Anhörungsverfahren im Senat im vergangenen Herbst, in dem sich die siebenfache Mutter gegen den Vorwurf wehren musste, sie sei aufgrund ihres katholischen Glaubens nicht fähig, in Rechtsstreitigkeiten neutral zu entscheiden.
Für sie spreche auch, sagen Politbeobachter, dass es für die Republikaner einfacher wäre, wenn das neue Gesicht der konservativen Mehrheit am Supreme Court weiblich sei. Ihre konservativen Gegner allerdings finden, dass Barrett noch etwas zu jung und deshalb zu unerfahren sei, um bereits in die Fussstapfen von Richter Anthony Kennedy zu treten.
Offen ist, ob Trump bereit ist, diesen rechtsphilosophischen Argumenten Gehör zu schenken. Insider sagen, dass der Präsident auch grosses Gewicht auf die Inszenierung lege – das neue Mitglied des Supreme Courts müsse demnach vorzeigbar sein und der Trump’schen Vorstellung einer typisch amerikanischen Person entsprechen.