Die Meldung ist brisant: Ein Schweizer Oberst steht laut SRF im Verdacht, im Sommer 2024 Informationen an Russland weitergegeben zu haben. Der Mann arbeitet als Militärberater bei der Schweizer Delegation bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Wien.
Gegen den Oberst, der seit über zwanzig Jahren beim Verteidigungsdepartement VBS arbeite, zuletzt auf wichtigen Aussenposten, ermittelt jetzt die Militärjustiz. Sprecher Florian Menzi bestätigt: «Die Militärjustiz hat eine militärstrafrechtliche Untersuchung eröffnet, steht aber noch ganz am Anfang der Ermittlungen.» Auf die Frage, um welche Straftatbestände es gehe, sagt er: «Wir sind daran, den Sachverhalt abzuklären, weshalb wir uns inhaltlich dazu noch nicht näher äussern können.»
Der Mann wurde in die Schweiz zurückbeordert, er ist von seiner Funktion in Wien entbunden, wie VBS-Sprecher Stefan Hofer bestätigt: «Das VBS hat Kenntnis von Vorwürfen, weshalb der betroffene Mitarbeiter Ende 2024 in die Schweiz zurückgerufen wurde.» Aus Persönlichkeitsschutzgründen könnten keine weiteren Angaben gemacht werden. Für den Oberst gelte die Unschuldsvermutung.
Laut SRF soll der Oberst ein Dokument an die russische Delegation weitergegeben haben. Das Papier sei allerdings «Stunden später ohnehin OSZE-weit geteilt» worden. An der Strafversetzung des Obersten gebe es intern auch Kritik; sie sei unverhältnismässig. Es gehe um einen einzigen Vorfall.
Russland versucht, OSZE zu schwächen
Sicher ist aber auch: Wien ist ein Tummelplatz für Spione, insbesondere für russische. Als besonders exponiert gilt die OSZE, der 57 Staaten angehören, unter ihnen Russland und die USA. Sie setzt sich für Frieden und Zusammenarbeit in Europa ein. Zuletzt gab es immer wieder Berichte darüber, dass Russland versucht, die Organisation zu schwächen. So schrieb 2024 das Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH), Russland arbeite an der Demontage der OSZE. Die wöchentlichen Treffen in der Wiener OSZE-Zentrale etwa würden benutzt, «um Propagandanarrative zu verbreiten». Russland nutze sein Vetorecht, um die operative Arbeit der OSZE zu blockieren.
Brisant ist auch, dass die Schweiz nächstes Jahr das OSZE-Präsidium übernimmt. Das war letztmals 2014 der Fall, im Jahr der Krim-Annexion durch Russland. Der damalige Aussenminister Didier Burkhalter versuchte als OSZE-Vorsitzender zu vermitteln, er traf damals auch Russlands Staatschef Wladimir Putin. Nächstes Jahr wird Aussenminister Ignazio Cassis diese OSZE-Rolle zukommen – und der nimmt sich vor, wie er einmal zu verstehen gab, die OSZE vor russischen Angriffen zu retten.
Unklar ist, was gegen den Schweizer Oberst genau vorliegt und welche Dimension der Fall hat; ob es wirklich nur um einen Einzelfall geht und ob allenfalls weitere Personen involviert sind.
Wäre nicht der erste Russen-Freund in Wien
Sicher ist, dass eine besondere Nähe zu Russland beim militärischen Teil der Schweizer OSZE-Delegation in Wien keine neue Erscheinung wäre. Davon zeugt das Beispiel eines Vorgängers des verdächtigten Obersten.
Es geht um einen Oberstleutnant im Generalstab namens Ralph Bosshard, der seit Jahren öffentlich als Russland-Versteher auftritt. Er sei seit 2014, so schrieb 2016 die «Allgemeine Schweizerischer Militärzeitschrift», «militärischer Sonderberater des Ständigen Vertreters der Schweiz bei der OSZE» in Wien. Im Artikel «Einmal die Welt mit russischen Augen betrachten» zitierte die Zeitschrift Bosshard unter anderem mit dem Satz: «Als bedrohlich gilt für Russland die Osterweiterung der Nato».
2024 verteidigte er in der «Weltwoche» das Narrativ, wonach die Ukraine und der Westen Auslöser des Angriffs der Russen am 24. Februar 2022 waren, dass sie Putin provoziert hätten. Bosshard, der seit einigen Jahren nicht mehr beim VBS arbeitet, studierte 2013 und 2014, also vor seinem Einsatz in Wien, an der Militärakademie in Moskau.
Für den Obersten, der im Visier der Militärjustiz ist, gilt die Unschuldsvermutung.