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Billigarbeit

Generation Praktikum: Voller Einsatz, kleiner Lohn

Das Praktikum ist bei Schweizer Unternehmen auf dem Vormarsch. Nicht immer haben dies auch einen Ausbildungscharakter. Junge, gut ausgebildete Leute werden vermehrt ausgenutzt, kritisieren die Personalverbände.

Dank mehrjähriger Berufserfahrung und dem Diplom einer Fachhochschule im Sack fand Bettina Gut* beim Zürcher Medienkonzern Ringier eine Stelle. Diese machte ihr Spass und eigentlich wäre alles perfekt gewesen, wäre da nicht das ungute Gefühl geblieben, ausgenutzt zu werden: Denn obwohl sie die gleiche Arbeit verrichtete wie ihre fest angestellten Kollegen, bekam sie in den ersten drei Monaten nur einen Praktikumslohn. Erst danach gab es das volle Salär, das rund doppelt so hoch war – Ringier sparte Geld.

Auf die Frage nach den Gründen für diese Praxis schreibt Ringier-Sprecher Edi Estermann der «Nordwestschweiz»: «Wir können Ihnen keine detaillierten Angaben machen.» Grundsätzlich sei es aber so, dass Ringier Studienabgängern Praktika in verschiedenen Bereichen mit Laufzeiten zwischen maximal 6 bis 12 Monaten anbiete. «Das Feedback der Praktikanten ist überaus positiv», so Estermann. Die Anstellungsbedingungen entsprächen zudem den gesetzlichen Vorgaben.

Letzteres bestätigt Thomas Geiser, Arbeitsrechtsexperte der Universität St. Gallen. Da es in der Schweiz keinen allgemeinen Mindestlohn gebe, dürfe man mit einem dreimonatigen Praktikum – mit tiefem Salär – die ordentliche Probezeit ersetzen. «Anschliessend kann das Unternehmen aber nicht eine weitere Probezeit vorsehen», so Geiser.

Entscheidend ist Bildungsanteil

Kritik an solchen Anstellungsbedingungen gibt es trotzdem: «Es ist in letzter Zeit zur Unsitte geworden, bestens ausgebildete junge Menschen von Praktikum zu Praktikum zu schicken», sagt Reto Liniger, Sprecher von Angestellte Schweiz. Der Verband vertritt die Interessen von 23 000 Arbeitnehmern und kennt deren Sorgen und Nöte. Während dieser Praktika würden die jungen Leute voll eingesetzt, erhielten aber nicht den Lohn, den jemand mit einer Festanstellung bekomme. «Diese Praxis hat in der Schweiz markant zugenommen», so Liniger.

Die Gewerkschaft Syna hat sich mit dem Thema ebenfalls beschäftigt: Im Gegensatz zum europäischen Ausland sei es in der Schweiz zwar nicht üblich, dass Leute zuerst als Praktikant angestellt würden und erst danach eine Festanstellung erhielten. Für die Zukunft sieht Vizepräsident Arno Kerst aber dennoch zwei Missbrauchsgefahren: Erstens, dass Branchen, die bis jetzt keine Praktika kannten, solche anbieten, diese aber keinen oder nur einen sehr geringen Bildungsanteil aufweisen. Und zweitens, dass in Branchen mit einer Praktika-Tradition diese Praktika weniger Bildungsanteile aufweisen und vermehrt wirtschaftliche Interessen verfolgt werden. Für die Syna sind Praktika nicht grundsätzlich schlecht: «Sie sollen primär der beruflichen Bildung und nicht dem wirtschaftlichen Zweck des Unternehmens dienen», so Kerst.

Gemäss einer Umfrage bei Personalverbänden, Gewerkschaften, Fachhochschulen und im persönlichen Umfeld sind Praktika mit wenig Ausbildungsanteil in folgenden Branchen besonders verbreitet: Kommunikation, Werbung, Journalismus, Architektur, Advokatur, Kunstgeschichte/Museen, aber auch in der IT- und im kaufmännischen Bereich.

Niemand will es gewesen sein

Fragt man bei den genannten Branchenverbänden nach, ob es unter ihren Mitgliedern Unternehmen gebe, die solche Praktika – ohne Ausbildungscharakter – anbieten, wird das rundherum verneint. «Höchstens in Einzelfällen», sagt etwa der Schweizerische Verband der Informations- und Kommunikationstechnologie. Der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA) hat zwar schon von Gerüchten gehört, kann diese aber nicht bestätigen. Die Fachhochschulen wiederum erheben dazu keine Zahlen und können deshalb keine Einschätzung abgeben.

*Name von der Redaktion geändert.