Es sollte der Höhepunkt in der politischen Laufbahn von Juan Manuel Santos werden. Aber der Tag des Plebiszits zum Friedensabkommen mit den Farc-Rebellen wurde stattdessen sein Tiefpunkt. Nun ist der kolumbianische Präsident der gefallene Friedensengel anstatt der grösste Friedensstifter des Landes. Er galt als Anwärter auf den Friedensnobelpreis, jetzt ist er ein Staatschef, der alles gewagt und alles verloren hat und dabei ganz offensichtlich die Emotionen seiner Bevölkerung falsch einschätzte. Das Volk hat mit hauchdünner Mehrheit seinen Friedensvertrag mit den Farc-Rebellen abgelehnt (siehe Box). Und Santos’ Niederlage ist auch der Triumph seines früheren Mentors und heutigen politischen Erzfeinds Álvaro Uribe.
Alles dem Frieden untergeordnet
Nimmt man Santos’ eigene Worte zum Massstab, dann ist der 65-jährige Politiker gescheitert. Er hat in seiner Amtszeit alles dem Frieden mit den Farc untergeordnet – die Wirtschaftspolitik, die Lösung der sozialen Konflikte, den Kampf gegen Korruption und gegen die Armutsschere. Und das hat dazu geführt, dass Santos eher niedrige Zustimmungsraten hat.
Es war sein grosser Ehrgeiz, dem drittbevölkerungsreichsten Land Lateinamerikas endlich Frieden zu bringen. Nun ist er vermutlich – wie so viele andere Staatschefs vor ihm – an dieser Aufgabe gescheitert, auch wenn niemand je so weit gekommen war wie Santos.
Nein zum Frieden
- Mit einem Nein-Anteil von 50,2 Prozent oder knapp 60 000 Stimmen haben die Kolumbianer das Friedensabkommen mit der Farc überraschend abgelehnt.
- Die Beteiligung lag bei historisch niedrigen 37,4 Prozent. Nur 13,1 Millionen der 34,9 Millionen Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab.
- Die Gegner konnten viele Bürger mit ihrer Kritik an der Sonderjustiz mit maximal acht Jahren Haft für Farc-Verbrechen mobilisieren. Vielen Kolumbianern passt zudem nicht, dass die Rebellen sich politisch beteiligen dürfen. (nch/sda)
Er liess sich in kein Schema pressen
Es ist schwierig, Juan Manuel Santos politisch einzuordnen. Mal war er Falke, dann Friedenstaube, mal Neoliberaler, dann wieder Freund der Linken. Wenn es eine Konstante in seiner Zeit im Rampenlicht gibt, ist es die: Kolumbiens Staatschef hat Freunde und Gegner immer wieder überrascht und manchmal vor den Kopf gestossen. In ein Schema hat er sich kaum pressen lassen.
Manche in Kolumbien sagen, der intelligente Spross einer der mächtigsten Familien des Landes hätte es vor allem auf seinen Platz in der Geschichte abgesehen gehabt, als er nur drei Tage nach der Übernahme der Präsidentschaft im August 2010 das Projekt Friedensstiftung anging. Santos’ Grossvater war ein Bruder von Eduardo Santos, der Kolumbien als Präsident von 1938 bis 1942 regierte. Santos’ Familie kontrollierte über Jahrzehnte die einflussreichste Zeitung des Landes, «El Tiempo», deren stellvertretender Chefredaktor er zeitweise war.
Der Mann mit dem durchdringenden Blick und der tiefen Stimme war als Nachfolger von Álvaro Uribe ins Amt gewählt worden. Dieser hatte mit allen legalen und vielen illegalen Mitteln die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) bekämpft und stark geschwächt. Und die Kolumbianer dachten, Santos werde das Werk von Uribe fortsetzen. Schliesslich hatte er ihm von 2006 bis 2009 als Verteidigungsminister gedient und als solcher den Krieg gegen die Guerilla zu verantworten. Santos Name verbindet sich dabei mit einem der dunkelsten Verbrechen aus jener Zeit: die Ermordung unschuldiger Zivilisten durch die Armee, um sie so als gefallene Kämpfer der Guerilla auszugeben und die Erfolgsstatistiken aufzublähen.
Aber kaum war Santos im Amt, drehte er seine Politik komplett, überraschte das ganze Land mit dem Friedensprozess und machte seinen einstigen Gönner Uribe zu seinem grössten Widersacher. Doch die Verhandlungen mit den Farc dauerten nicht wie vom Präsidenten angekündigt einige Monate, sondern fast vier Jahre.
Die Bevölkerung verlor Interesse und Hoffnung – und Santos kosteten die Verhandlungen 2014 fast die Wiederwahl und belasteten seine Gesundheit.