Die Schweiz will den Umbau der Energieversorgung auf die Erneuerbaren: Die Annahme des Stromgesetzes mit fast 70 Prozent Ja-Anteil war überdeutlich. Breiter Konsens ist auch, dass der Zubau von Wasser-, Solar- und Windkraft schneller vorangehen muss. Durch die Dekarbonisierung wird der Stromverbrauch zunehmen, Atomkraftwerke werden wegfallen. Darum braucht es den sogenannten Beschleunigungserlass, den das Parlament berät.
Die Schweizer Energiepolitik ist zu vielen Kompromissen fähig, das haben die letzten grossen Vorlagen gezeigt. Und ein grosser Schulterschluss ist auch dieses Mal möglich. Zwei Knackpunkte bleiben: Zum einen will der Ständerat partout das Verbandsbeschwerderecht bei jenen 16 grossen Wasserkraftprojekten aushebeln, zu denen das Stimmvolk im Stromgesetz Ja gesagt hat. Zum anderen geht es um Ersatz- und Ausgleichsmassnahmen zugunsten der Natur. Die Kommissionen wollen diese Pflicht der Bauherren aufweichen. Wie, ist auch nach einem mehrmonatigen Hickhack aus Kommissionen und Kantonen nicht ganz klar.
Paradox: Obwohl der zweite Punkt die potenziell weiterreichenden Konsequenzen für die Umwelt bedeutet, entzündet sich der Protest vor allem am Verbandsbeschwerderecht. Der Grund ist simpel: Sollten sich Grüne und Umweltverbände zu einem Referendum entscheiden, wäre die beschnittene demokratische Mitsprache das plakativere Argument in einem Abstimmungskampf.
Dieser Einwand würde auch die Brücke schlagen bis zur SVP. Diese ist gegenüber der Vorlage kritisch, weil sie die Rechte der Gemeinden einschränkt. Ganz egal, wer die Kaskade letztlich auslöst: Gesellen sich zu Grünen und SVP noch fundamentale Windkraftgegner und der bürgerliche Landschaftsschutz, vereint sich der Widerstand aus unterschiedlichsten Ecken der Politik. Es blüht ein Szenario wie im Wallis oder in Solothurn, wo das Volk sicher geglaubte Energievorlagen versenkt hat.
So zumindest lautet die Drohkulisse der Gegner.
Dass es so weit kommt, darf man bezweifeln. Zu gross sind die Gräben zwischen Grünen und SVP, um ernsthaft einen nationalen Abstimmungskampf gemeinsam zu gestalten. Schwierig gestaltet sich auch die Zusammenarbeit zwischen den etablierten Umweltverbänden und dem Verein Freie Landschaft Schweiz, in dem die radikalsten Windkraftgegner vereinigt sind.
Die Ständeratskommission weiss offensichtlich um dieses Glaubwürdigkeitsproblem, das Kritiker der Vorlage in einem Referendum schultern müssten, und spielt den Naturschutz an die Wand. Suchte die Nationalratskommission noch Mittelwege, testet jene des Ständerats gerade den bürgerlichen Spielraum.
Demokratiepolitisch ist das unverfänglich. Auch wenn Grüne den Bürgerlichen Wortbruch vorwerfen, weil von solchen Einschnitten im Stromgesetz noch keine Rede war. Das Stromgesetz wurde ja gerade um die strittigsten Passagen entschlackt, um den grossen Kompromiss nicht zu gefährden.
Auch als Präjudiz gegen das Verbandsbeschwerderecht als solches taugt die Vorlage nicht. Die Konstellation mit dem Volks-Ja zu 16 Wasserkraftprojekten ist einzigartig.
Dennoch ist unverständlich, warum die Ständeräte nochmals die Schraube anziehen. Denn viel gewinnen können auch sie nicht mit ihrer Sturheit: Der grösste Teil der 16 Projekte ist unbestritten; vereinzelte Beschwerden werden diese nicht weiter aufhalten.
Eine echte Verzögerung träte hingegen dann ein, wenn das Referendum zustande kommt und an der Urne bestätigt wird. Der Beschleunigungserlass wäre in seinem Wortsinn widerlegt. Noch bleibt etwas Zeit, um letzte Kompromisse zu schmieden. So viel steht fest: Viel fehlt für die nächste Einigkeit nicht mehr.