Der Gaza-Krieg hat den Nahen Osten in den zwei Jahren seit dem 7. Oktober 2023 stärker verändert als alle Konflikte in den zwei Jahrzehnten vorher. Israel ist militärisch und strategisch mächtiger als je zuvor, Erzgegner Iran wurde gedemütigt und geschwächt. Dennoch läuft in der Region jetzt nicht alles so, wie Israel und sein Partner USA das wollen.

Vor dem 7. Oktober herrschte in der Region trotz vieler Krisen, Kämpfe und Kriege ein gewisses Gleichgewicht zwischen Israel und den USA auf der einen und dem Iran mit Verbündeten wie der Hamas in Gaza und der Hisbollah im Libanon auf der anderen Seite. Typisch für diesen Zustand war, dass Katar mit Zustimmung Israels die Hamas mit Geld versorgte – die israelische Regierung erwartete, dass die reich gewordenen Hamas-Chefs keine Lust auf einen neuen Krieg haben würden.
Israel täuschte sich. Die Hamas überraschte die israelische Armee mit dem brutalen Terrorangriff vom 7. Oktober 2023, seitdem herrscht Krieg. Mehr als 60'000 Menschen sind tot, der Gaza-Streifen ist verwüstet. «Die grösste Verliererin ist die Zivilbevölkerung Gazas, die mit zehntausenden Toten, traumatisierten Generationen und einem zerstörten Landstrich den höchsten Tribut entrichtet hat», sagt Kristof Kleemann, der das Büro der liberalen Friedrich-Naumann-Stiftung in der Region leitet und die Lage in und um Israel schon seit Jahren beobachtet.

Nach dem schlimmsten Massaker an Juden seit dem Holocaust schlug Israel nicht nur in Gaza zurück, sondern in der ganzen Region. Israelische Jets, Drohnen und Raketen griffen im Libanon, im Iran, in Syrien, im Jemen und zuletzt sogar in Katar an. Zu Israels militärischer Überlegenheit kam die seines Auslandsgeheimdienstes Mossad. Seine Agenten liessen Mini-Bomben in tausenden Funkempfängern der Hisbollah-Kämpfer im Libanon explodieren und töteten den damaligen Hamas-Chef Ismail Haniya in der iranischen Hauptstadt Teheran.
Israels Gegner nachhaltig geschwächt
Israels Offensiven warfen das Machtgefüge in der Region über den Haufen. Der Iran habe die meisten seiner ballistischen Raketen verloren und müsse in seinem Atomprogramm einen Rückschlag um mehrere Jahre verkraften, sagt Simon Waldman, Nahost-Experte am King’s College London, zu CH Media. Die Hisbollah, einst die wichtigste iranische Waffe im Kampf gegen Israel, sei «zerstört, ihre Führung ist tot».
Die Hamas sei nach zwei Jahren Krieg militärisch so geschwächt, dass sie wohl nie wieder die Stärke von vor dem 7. Oktober erreichen werde, meint Waldman. Die ebenfalls iranisch unterstützten Huthis im Jemen greifen Israel zwar immer wieder mit Raketen an. Doch die Huthis seien zu weit entfernt, um Israel wirklich gefährlich werden zu können, sagt Waldman.

Für den Iran waren die zwei Jahre seit Oktober 2023 eine einzige Katastrophe. Die «Achse des Widerstands», wie Teheran sein Netzwerk aus Verbündeten gegen Israel nennt, liege in Trümmern, bilanziert der Iran-Experte Arash Azizi von der Universität Boston. «Teheran fühlt sich machtlos gegenüber Israel und den USA», sagt Azizi unserer Zeitung.
Einen Sieg auf der ganzen Linie kann Israel trotzdem nicht feiern. «Israel hat militärisch kurzfristig Erfolge erzielt, sich aber politisch und diplomatisch in eine Sackgasse manövriert», Kleemann von der Friedrich-Naumann-Stiftung. «Teile des Westens und des Globalen Südens wenden sich ab.» Immer mehr westliche Staaten erkennen Palästina als eigenen Staat an. Als Ministerpräsident Benjamin Netanyahu vor der UNO-Vollversammlung in New York ans Redepult trat, verliessen viele Delegationen aus Protest den Saal.
Derzeit sehe es so aus, als werde Israel diesen «diplomatischen Tsunami» überstehen, meint Waldman vom King’s College. Israels Friedensverträge mit arabischen Staaten sind weiter in Kraft, und die Beziehungen zu Europa könnten sich auch wieder verbessern, sagt er. So komme Israel bei der Aufrüstung europäischer Staaten als Lieferant hochmoderner Waffensysteme in Frage.
Araber suchen neue Partner
Kleemann sieht dennoch Risiken für Israel. «Die Gefahr liegt darin, dass Israel zunehmend nicht mehr als unverzichtbarer Partner, sondern als Hindernis für einen Friedensprozess wahrgenommen wird», sagt er. «Setzt die Regierung Netanjahu ihre Eskalationsstrategie fort, droht das Land vom Taktgeber zur Randfigur zu werden – und seine Sicherheit damit langfristig selbst zu gefährden.»
Auch das Verhältnis der Region zu den USA hat sich gewandelt. Die Präsidenten Joe Biden und Donald Trump stellten sich voll und ganz auf die Seite Israels. Als Trump im September den israelischen Angriff auf Katar zuliess, begannen arabische Staaten offen mit der Suche nach neuen Partnern. Saudi-Arabien schloss einen Verteidigungspakt mit der islamischen Atommacht Pakistan.
Nun versucht Trump, verlorenen Boden gut zu machen. Er zwang Netanyahu, sich bei Katar zu entschuldigen, und sagte der Führung in Doha zu, dass die USA ab sofort jeden Angriff auf Katar als Angriff auf sich selbst sehen würden. Dieses Nato-ähnliche Schutzversprechen dürften auch andere arabische Staaten für sich fordern – und das könnte die USA noch tiefer in künftige Konflikte im Nahen Osten verstricken.
