
Nach der Einigung zwischen Israel und der Hamas auf eine erste Waffenstillstands-Phase ist die Freude auf beiden Seiten riesig. Der Schritt bedeutet, dass der Krieg – zumindest für den Moment – zu Ende ist. Und: Dass die Geiseln, die zwei Jahre nach dem Terroranschlag vor zwei Jahren immer noch im Gazastreifen festgehalten werden, endlich freikommen.
Rund 250 Menschen wurden am 7. Oktober 2023 vom Hamas-Terroristen verschleppt. Viele kamen während der beiden vergangenen Waffenstillstände frei. Aktuell sollen sich noch 48 Geiseln im verwüsteten Küstenstreifen befinden. Von zwei Personen sind keine Angaben über ihren Zustand bekannt. 26 sind angeblich tot, 20 sollen noch am Leben sein.
Laut einer Untersuchung der «New York Times» wurden mehr als drei Dutzend Geiseln in der Gefangenschaft getötet. Nach Angaben israelischer Behörden und militärischer Untersuchungen wurden sieben Geiseln von ihren Entführern hingerichtet, als israelische Soldaten sich näherten, und vier weitere kamen bei israelischen Luftangriffen ums Leben.
Jede der noch lebenden Geiseln steht für ein berührendes Schicksal. Etwa jenes von Guy Gilboa-Dalal und David Evyatar: Die beiden besten Freunde wurden am 7. Oktober 2023 am Nova-Festival entführt. Lange gab es keine Lebenszeichen von ihnen. Anfang dieses Jahres teilten die Hamas-Terroristen Videos der beiden. Darauf war zu sehen, wie die Freunde die Freilassung anderer Geiseln anschauen mussten und die israelische Regierung anflehten, für ihre Freilassung zu sorgen. Im August veröffentlichte die Hamas ein weiteres Video vom komplett abgemagerten David, den die Entführer dazu zwangen, sein eigenes Grab zu schaufeln.
Was erhält die Hamas im Gegenzug?
Die israelische Armee erklärte, dass drei Geiseln versehentlich von israelischen Soldaten erschossen wurden, die sie für palästinensische Kämpfer hielten. Eine weitere Geisel starb im Kreuzfeuer. Die Umstände des Todes der übrigen bleiben unklar.
Nach dem Trump-Plan soll Israel nach der Freilassung aller Geiseln «250 zu lebenslanger Haft verurteilte Gefangene sowie 1700 Gazaner, die nach dem 7. Oktober 2023 festgenommen wurden», freilassen. Für jede israelische Geisel, deren Überreste übergeben werden, soll Israel zudem die Leichen von 15 verstorbenen Gazanern freigeben.
Noch am Montag will sich US-Präsident Donald Trump mit Geisel-Angehörigen treffen, eine Rede im israelischen Parlament halten und dann weiterreisen zur offiziellen Zeremonie in Ägypten. Dort werden mehr als 20 Staats- und Regierungschefs erwartet, unter anderem aus Europa und der arabischen Welt. Anreisen werden etwa UNO-Generalsekretär António Guterres, Bundeskanzler Friedrich Merz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sowie Jordaniens König Abdullah II.
Ob und welche neuen Beschlüsse zum Krieg es bei diesem Treffen geben könnte, blieb am Sonntag unklar. Aus Kreisen der Hamas hiess es, ihre Delegation werde nicht teilnehmen. Auch eine Teilnahme von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu scheint damit äusserst unwahrscheinlich.
Schock und Verzweiflung bei Heimkehrern in Gaza
In Gaza läuft im Zuge der geltenden Waffenruhe die Rückkehr Vertriebener in ihre früheren Wohngegenden. Nach palästinensischen Angaben sind seit Freitag mehr als 300'000 Menschen in den Norden Gazas zurückgekehrt, und viele reagieren schockiert auf das Ausmass der Zerstörungen oder haben ihr Zuhause verloren. In Teilen des Gebiets wurde im August eine Hungersnot erklärt – eine Einstufung, die Netanjahu als «Lüge» bezeichnete.
Seit Beginn der Waffenruhe hat Israel nun die Einfuhr von mehr Hilfsgütern in das Gebiet erlaubt: Täglich sollen rund 600 Lastwagen einfahren. Das ist nach UNO-Angaben die Mindestmenge, um die Bevölkerung zumindest mit dem Nötigsten zu versorgen. Laut israelischen Sicherheitskreisen soll auch die Reparatur von Wasserleitungen, Abwassersystemen und Bäckereien möglich sein.
Allerdings ist eine Besserung der Lage in Gaza durch die Waffenruhe längst noch nicht sicher. Am Wochenende gab es erste Berichte über Gewalt zwischen Hamas-Mitgliedern und bewaffneten Clans in Gaza. Zudem ist noch nicht absehbar, ob das Abkommen zum längerfristigen Ende der Kämpfe in Gaza führen wird.
Zwei der grössten Streitpunkte bleiben die Entwaffnung der Hamas, die in Trumps Friedensplan vorgesehen ist, und der komplette Abzug von Israels Armee. Nach einem vereinbarten Rückzug hält sie weiterhin etwa die Hälfte Gazas besetzt. Die Hamas spricht Israel zudem weiterhin das Existenzrecht ab, Netanyahu und seine rechtsextremen Regierungspartner wollen die Hamas restlos zerschlagen.
Jubel und Sprechchöre für Trump in Tel Aviv
Donald Trump verbucht die vorläufige Einigung trotzdem schon als historischen Erfolg für sich. Bei seinem Treffen mit Familien der Geiseln, der Rede im israelischen Parlament und der Zeremonie in Ägypten kann er auf symbolträchtige Bilder hoffen. Am Montagabend soll er aus der Region zurück nach Washington reisen.
Trumps Sondergesandter Steve Witkoff lobte den US-Präsidenten am Samstag bei einer Grosskundgebung in Israels Metropole Tel Aviv. «Wir alle sind Präsident Trump zu tiefstem Dank verpflichtet», sagte er. Viele der Teilnehmer, nach Angaben der Organisatoren rund 400'000, jubelten und dankten in Sprechchören. Beim Namen von Netanyahu ertönten dagegen ein Pfeifkonzert und Buhrufe. Viele Angehörige und Freunde der Geiseln werfen ihrem Premier vor, seine politischen Motive über das Schicksal der Geiseln gestellt zu haben. (Mit Material der DPA)