
Er kämpfe «wie ein Hund», hatte François Bayrou gesagt, als er die Vertrauensabstimmung in der Nationalversammlung eigenhändig ansetzte. Am Montag sprach er den 577 Abgeordneten noch eine Stunde lang ins Gewissen: Die Staatsschuld des Landes von 3300 Milliarden Euro erfordere einen Sparhaushalt mit 44 Milliarden Einsparungen, predigte er, um dann sein eigenes Schicksal daran zu knüpfen und die Vertrauensfrage zu stellen.
Aber François Bayrou predigte in die Wüste: Eine Mehrheit von 364 Abgeordneten der Linksfront und der Rechtspopulisten sprach dem christdemokratischen Premier das Misstrauen aus. Macrons Mitte-Lager und die konservativen Republikaner brachten nur 194 Stimmen zusammen.
Gestützt auf Artikel 49.1 der Landesverfassung muss Bayrou dem Staatspräsidenten seine Demission einreichen. In den Redaktionen in Paris herrscht ein Grundtenor vor: Der 74-jährige Premier habe zwar mutig seine eigene Person in die Waagschale geworfen; zugleich habe er aber leichtsinnig, wenn nicht selbstmörderisch gehandelt: «Wie konnte Bayrou nur hoffen, dass die Franzosen die Streichung von zwei Feiertagen (Ostermontag und Ende des Zweiten Weltkriegs, die Red.) schlucken würden?», las man auf einer Internet-Plattform.

Macron hat mehrere Optionen, aber keine guten. Neuwahlen und seinen eigenen Rücktritt hat er ausdrücklich ausgeschlossen – er würde in beiden Fällen als Verlierer vom Platz gehen. Wahrscheinlicher ist, dass er einen Nachfolger aus seinem eigenen Lager zum Premier ernennt – etwa Justizminister Gérald Darmanin oder den früheren Aussenminister Jean-Yves Le Drian. Worauf ein Parteigänger Le Pens ätzte: Wenn Macron einen weiteren «Hampelmann» nominiere, der nur dem Präsidenten, aber nicht dem Volkswillen zu Diensten sei, komme es «binnen weniger Wochen» zu einem neuen Regierungssturz.
Nominiert Macron einen Linken?
Macron hat auch schon angetönt, er könnte einen moderat linken Premier wie Bernard Cazeneuve oder Sozialistenchef Oliver Faure ernennen. Der Vorteil für den Staatschef: Die Linke würde gespalten und damit geschwächt; denn Linksaussen Jean-Luc Mélenchon wirft den Sozialisten nichts weniger als «Verrat an der Linksfront» vor.
Macrons Problem ist dagegen: Faure will sowohl das Sparbudget als auch Macrons Kernreform, die Erhöhung des Rentenalters auf 64 Jahre, eindampfen. Das könnte der Staatschef nicht zulassen.
Die Sozialisten wollen nur 21,7 Milliarden Euro an Einsparungen vornehmen, die Hälfte der 44 Milliarden Euro, die Bayrou streichen wollte. Das würde das französische Budgetdefizit 2026 von 4,6 auf fünf Prozent heben. Das – sehr entfernte – Ziel von drei Prozent Defizit im Jahr 2029 würde damit noch weiter wegrücken.
Könnte dies in der Eurozone, wo die Defizitgrenze an sich bei drei Prozent liegt, eine neue Finanzkrise wie vor zehn Jahren in Griechenland auslösen? Die meisten Pariser Wirtschaftsexperten geben Sturmentwarnung. Die Sozialproteste, Blockaden und Streiks, die in Frankreich ab Mittwoch mindestens eine Woche lang dauern werden, lösten bisher auch keine vorauseilende Panik aus.
Auswirkungen auf die gesamte Eurozone
Längerfristig machen sich die Ökonomen eher Sorgen. So sagte Eric Maurice vom Brüsseler Thinktank European Policy Center (EPC): «Zieht man das Gewicht Frankreichs in Betracht, ist mit Auswirkungen auf die gesamte Eurozone zu rechnen.»
Der Kolumnist François Lenglet bedauert, dass Bayrous Weckruf ungehört verhallt sei. «Viele Franzosen fühlen sich von unserem Defizit nicht betroffen. Sie kämen nicht auf die Idee, dass einschneidende Reformen wie in Griechenland, Schweden, Kanada, Irland oder Portugal auch in Frankreich nötig sein könnten.»
Frankreich erweise sich wieder einmal als unreformierbar, ja unregierbar, beklagt Lenglet. Landesweit herrsche das Gefühl vor, dass der Euroraum die französische Währung und Wirtschaft notfalls schützen werde: «In letzter Konsequenz zählen die Franzosen auf die Intervention unserer Partner, allen voran Deutschland, um ein Finanzdesaster zu vermeiden.» Denn alle wüssten, Frankreich sei «zu gross, um pleite zu gehen», und könne deshalb im Bedarfsfall auch nicht wie Griechenland aus der Eurozone ausgeschlossen werden.
Wirtschaftsminister Eric Lombard warnt allerdings, dass Frankreich nicht ungeschoren davonkommen werde. Er deutete sogar an, dass der Internationale Währungsfonds eingreifen könnte, um Frankreich zu stützen.