Nun also doch: Die EU-Länder wollen mehr Rettungsschiffe ins Mittelmeer schicken, um schiffbrüchige Migranten in den Operationen Triton und Poseidon zu retten. Das zeichnete sich am Montagabend an einem Sondertreffen der Aussen- und Innenminister der 28 EU-Länder in Luxemburg ab. Sowohl das Budget als auch die Anzahl der Rettungsschiffe sollen verdoppelt werden.
Bisher hatten die EU-Länder mehr Mittel für die Missionen abgelehnt. Doch nachdem am vergangenen Wochenende erneut geschätzte bis zu 950 Flüchtlinge bei der Überfahrt nach Europa ertrunken sind, hatte die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini ein Sondertreffen einberufen, an dem die Stimmung gedreht hat. Die EU gebe eine starke Antwort auf die akute humanitäre Krise im Mittelmeerraum, sagte Mogherini. Auch die Schweiz, die in die Asyl- und Grenzschutz-Systeme der EU eingebunden ist, unterstützt eine Sofortreaktion, wie Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga in einer Stellungnahme mitteilte.
Neue Mission
Europa will möglichst verhindern, dass die Flüchtlinge überhaupt aufs Meer gelangen. Dafür plant die EU, die Menschenschmuggler härter zu bekämpfen. In einer neuen Mission werde die EU die Schiffe der Schmuggler aufspüren und zerstören, kündigte Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos an. Europa könne dabei aus den Erfahrungen mit der Anti-Piraten-Mission Atalanta vor der somalischen Küste schöpfen. Die EU bemühe sich zudem, stabile politische Verhältnisse in Libyen und anderen Transitländern der Flüchtlinge zu fördern.
Gefragt ist grösste Eile
Wie schnell die getroffenen Sofortmassnahmen umgesetzt werden, ist nicht klar. Mogherini versprach grösste Eile. Gefragt, warum die EU erst tätig werde, nachdem Hunderte Menschen ertrunken seien, sagte Mogherini: «Wir teilen alle das Gefühl der Enttäuschung. Aber wir müssen auch die Grenzen der Institutionen und unserer Entscheidungsprozesse aufzeigen. Das ist traurig.»
Die nächsten Entscheide werden am Donnerstag erwartet: Gestern hat EU-Ratspräsident Donald Tusk für Donnerstag einen Sondergipfel zur Migration angesetzt, bei dem die Staats- und Regierungschefs über die Tragödie diskutieren werden. «Wir können nicht hinnehmen, dass Hunderte sterben beim Versuch, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen», sagte Tusk. Die EU müsse darum in vier Bereichen handeln: Sie müsse den Menschenschmuggel entschiedener bekämpfen, Menschen in Seenot retten, mit den Herkunfts- und Transitländern zusammenarbeiten und jene Länder unterstützen, in denen die Flüchtlinge ankommen.
Warten auf Antworten
Für die grosse Frage in der europäischen Asylpolitik zeichnet sich aber noch immer keine Antwort ab: Wohin die Flüchtlinge gebracht werden, nachdem sie gerettet sind. Die EU-Kommission schlägt ein Pilotprojekt vor, bei dem 5000 Asylbewerber auf mehrere Mitgliedsländer verteilt werden. Über die Idee haben die europäischen Politiker bereits mehrfach diskutiert; weil aber nicht alle Länder dazu bereit sind, ist die Teilnahme freiwillig. Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga forderte Entscheidungen für «einen Verteilschlüssel für Flüchtlinge».
Damit alle europäischen Staaten sich an deren Aufnahme beteiligen. «Denn jetzt braucht es Solidarität.» Die Schweiz ist eines jener Länder, das pro Kopf viele Asylsuchende aufnimmt. Ob andere EU-Länder einen Teil der Flüchtlinge übernehmen werden, ist aber höchst fraglich. Ein permanenter Verteilschlüssel wäre politisch eine Voraussetzung für eine neue Asylpolitik, welche Hilfswerke wie UNHCR der EU empfehlen: Europa müsse legale Einwanderungsmöglichkeiten für Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten schaffen.
Die Aufgabenliste der europäischen Politiker lässt aber nicht darauf schliessen, dass sie in jene Richtung arbeiten. Vielmehr konzentrieren sie sich auf den bisherigen Ansatz. Den Menschenschmugglern versuchen die EU und ihre Mitgliedsländer seit Jahren das Handwerk zu legen, ebenso bemühen sie sich seit je, die Herkunfts- und Transitländer beim Grenzschutz zu unterstützen. Tusk sagte dazu, er erwarte keine schnellen Lösungen. «Gäbe es die, hätten wir sie schon lange angewandt.»