
Das Unglück an der Wolga (siehe separater Artikel) wirft einmal mehr ein Schlaglicht auf die unsicheren Transportbedingungen im Ausrichterland der Olympischen Winterspiele im Februar 2014.
Veraltete Maschinen, schlecht ausgebildete Besatzungen, marode Technik, mangelhafte Wartung - Experten vergleichen das grösste Land der Erde in Sachen Flugsicherheit mit Afrika. Es ist kein gutes Vorzeichen für Pläne der grössten russischen Fluggesellschaft Aeroflot, im kommenden Jahr eine Billigairline einzurichten. Denn schon jetzt fliegt oft die Angst mit zwischen Ostsee und Pazifik.
Flugzeugunglücke in Russland
Im russischen Kasan sind bei einem Flugzeugabsturz nach Behördenangaben mindestens 50 Menschen ums Leben gekommen. In jüngerer Vergangenheit kam es immer wieder zu derartigen Unfällen. Eine Auswahl von Flugzeugkatastrophen in Russland seit 2010.
Dezember 2012: Auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo schiesst ein Flugzeug über die Landebahn hinaus und durch einen Zaun auf eine Strasse. Fünf Insassen sterben, weil vermutlich die Bremsen versagten.
April 2012: Eine Passagiermaschine zerschellt in der westsibirischen Stadt Tjumen kurz nach dem Start auf einem Feld und zerbricht in drei Teile. 33 Menschen sterben, weil der Pilot die Maschine trotz Temperaturen um den Gefrierpunkt nicht enteist hatte.
September 2012: Auf der Pazifikhalbinsel Kamtschatka sterben zehn Menschen, als ein Passagierflugzeug beim Landeanflug an einem Berg zerschellt. Untersuchungen ergeben, dass die Piloten leicht alkoholisiert waren und Sicherheitsvorschriften missachtet haben.
September 2011: Auf dem Weg in die weissrussische Hauptstadt Minsk verunglückt die Mannschaft des russischen Eishockey-Erstligisten Lokomotive Jaroslawl. Von den 45 Menschen an Bord überlebt nur einer. Wegen eines Pilotenfehlers zerschellte die Maschine kurz nach dem Start.
August 2011: Beim Absturz eines veralteten Transportflugzeugs im Nordosten Russlands sterben alle elf Insassen. Ein Motor war in Brand geraten.
Juni 2011: 47 Menschen werden beim Absturz einer Passagiermaschine nordöstlich von St. Petersburg tödlich verletzt. Die Piloten hatten bei schlechtem Wetter mit schlechter Sicht zu früh zur Landung angesetzt.
Dezember 2010: Alle zwölf Insassen kommen beim Absturz eines Militärflugzeugs in Zentralrussland ums Leben. Ursache war technisches Versagen.
August 2010: Bei dichtem Nebel kommt es in Sibirien zur Katastrophe: Eine Antonow An-24 stürzt beim Landeanflug ab und fängt Feuer. Elf Menschen kommen ums Leben.
April 2010: Polens Präsident Lech Kaczynski stirbt bei einem Flugzeugabsturz im russischen Smolensk. Keiner der 96 Insassen der Tupolew TU-154 überlebt das Unglück in dichtem Nebel. Ursache waren vor allem Pilotenfehler.
Lieber mit dem Zug
Schon Touristen fällt bei Flügen nach Russland die Skepsis vieler Mitreisender auf. Immer wieder bekreuzigen sich Menschen vor Start und Landung. Vor Erleichterung klatschen viele Passagiere, wenn die Maschine erfolgreich auf den Boden zurückgekehrt ist.
Wer viel reist in Russland, kennt auch die innere Anspannung wegen immer wieder verschobener Starts von Maschinen, in denen Sitzgurte fehlen oder Rückenlehnen wackeln. Und schliesslich gibt es häufig auch Berichte über Alkoholprobleme in der Besatzung. Wer viel Zeit hat im Riesenreich, fährt lieber mit dem Zug.
Allzu gewöhnt sind viele Russen schon an Bilder wie nun die aus Kasan. Im grössten Land der Erde kommt es immer wieder zu verheerenden Unfällen mit Dutzenden Toten. Auch schlechtes Wetter spielt oft eine Rolle. In Kasan herrschte zum Unglückszeitpunkt aber nur leichter Wind, es gab keinen Frost, die Bedingungen seien "nicht kritisch" gewesen, sagt der Nachrichtensprecher im Staatsfernsehen. Stattdessen soll es sich, so melden Agenturen, um einen Pilotenfehler gehandelt haben.
Mehrmals habe die Maschine vom Typ Boeing 737-500, die vom Moskauer Flughafen Domodedowo losgeflogen war, eine Landung versucht. Plötzlich verlor das Flugzeug rasant an Höhe und schlug schliesslich hart auf der Landebahn auf. Die 23 Jahre alte Maschine wurde in Teile gerissen, die Treibstofftanks explodierten in einem Feuerball. Die Dutzenden Opfer hatten wohl keine Chance.
Wütende Kommentare
Putin bestürzt
Die Reaktionen gleichen sich. Kremlchef Wladimir Putin zeigt sich schwer bestürzt, Ermittler kündigen eine Überprüfung der betroffenen Fluggesellschaft Tatarstan Airlines an.
Doch im Internet entlädt sich die Wut. Zu oft haben viele Russen die Ankündigung gehört, nun mehr in die Flugsicherheit zu investieren und schärfere Kontrollen durchzuführen. Im Staatssender Rossija-1 werde kaum ein Wort über das Unglück verloren, schimpft Anton Kirpitschew (@Anton_Kirpichev) bei Twitter. Stattdessen drehe sich alles nur um Putin und die Olympischen Spiele in Sotschi.
Doch auch die Hilfsbereitschaft ist gross. Viele Kasaner bieten kostenlose Transportmöglichkeiten zum mittlerweile gesperrten Flughafen an, andere ein Zimmer für die Nacht. In der Stunde der Trauer rücken die Menschen einmal mehr enger zusammen.