Ich gebe es gerne zu: Die Europameisterschaft der Frauen hat mich als langjährigen Fussballfan auf einer anderen Ebene berührt als unzählige Momente in Schweizer Stadien zuvor. Unvergesslich, wie ich neben meinen beiden Kindern, 4 und 6, beobachten konnte, wie sich vor dem Eröffnungsspiel die Norwegerinnen auf dem Platz aufwärmten – und das ganze Stadion applaudierte. Der Gedanke: Warum ist das nicht immer so in den Schweizer Stadien? So naheliegend. Auch Sicherheitsdirektorinnen wie Karin Kayser-Frutschi aus Nidwalden oder Stephanie Eymann aus Basel-Stadt bedienen diesen Reflex, indem sie die Women’s Euro zur Blaupause für die Super League der Männer erklären.
Aber nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Mit gleichem Recht könnte man die Super League der Curlingweltmeisterschaft 24 oder den Musikfestwochen Winterthur gegenüberstellen. Denn nicht die 22 Menschen, die auf dem Rasen einem Ball nachrennen, verüben in der Regel die Delikte, sondern jene, die ihnen dabei zusehen. Und das Publikum der eben genannten Veranstaltungen hat wohl mehr Schnittmenge mit jenem einer Frauen-EM als mit dem gewaltbereiten Teil der Zürcher Südkurve.
Wem das zu polemisch ist: Auch die Euro 08 der Männer ging in der Schweiz problemlos über die Bühne. «Sehr positiv fiel die Bilanz der Verantwortlichen über die Sicherheit aus. Die Spiele hätten ohne nennenswerte Zwischenfälle stattgefunden», schrieb damals die Schweizer Nachrichtenagentur SDA. Der Zuschlag für die Euro führte zu den ähnlichen Forderungen wie heute. Wenig später wurde die Idee eines personalisierten «Fanpasses» wieder begraben.
Der skandinavische Weg
Die Super League kämpft mit den gleichen Herausforderungen wie die Männerligen in vielen anderen Ländern. England hat die Hools mit exorbitanten Ticketpreisen in die unteren Ligen (und damit aus dem Fokus der Öffentlichkeit) verbannt, Italien und Frankreich verbieten Gästefans und laufend wird allerorts die Videoüberwachung ausgebaut. Doch der Gewalt Herr wurde noch niemand. Am ehesten noch funktioniert der skandinavische Weg des «Good Hosting» mit viel Präventionsarbeit, Dialog und engen Banden zwischen Staatsgewalt und Fanarbeit. Obwohl von Experten gelobt, findet sich diese Variante häufig im Abseits einer emotional geführten Debatte wieder.
Es ist ein Ansatz, den auch der Schweizer Fussballverband erfolgreich anwendet. Seit mehreren Jahren ist die Gewalt in den Stadien rückläufig. Selbstverständlich nehme ich meine Kinder auch mit an Heimspiele. Wenn es knallt, dann meist vor oder nach dem Match, weit weg von mir und meiner Familie.
Auch hier wird gerne der Vergleich zu den friedlichen Fanmärschen gezogen, als die Spanierinnen und Engländerinnen gemeinsam zum Fussballfest schritten. Aber die Super League zieht andere Menschen an. Durch den Spielmodus einer ganzjährigen Liga bilden sich Rivalitäten, wie sie ein Länderturnier nie haben kann. Manche verklären die Vereinsfarben zum wesentlichen Lebensbestandteil, opfern grosse Teile ihrer Zeit und ihres Geldes. Diesen ritualisierten Lokalpatriotismus kann man doof finden. Aber er ist ein Fakt.
Er bricht sich in einstudierten Fangesängen Bahn, in aufwendigen Choreografien und ja, von zumindest einem Teil der Fans auch durch erhöhte Gewaltbereitschaft. Dieser Mix aus Selbstaufgabe bei gleichzeitiger Überhöhung der eigenen Bedeutung macht Fankurven so anziehend für viele Männer, vor allem junge. Und wie jede Subkultur will sie im Kern unverstanden bleiben und mit der Gesellschaft brechen.
Dem kann man mehr repressive Mittel entgegenhalten. Aber jeder Druck von aussen eint die Fans noch mehr. Dass damit die Fronten verhärten, zeigen nahezu alle internationalen Beispiele und die Vergangenheit in der Schweiz. Nachdem das Hooligan-Konkordat gescheitert ist, nimmt derzeit das Kaskadenmodell die Fussballfans wirkungsfrei in Solidarhaftung – und noch ist ungeklärt, ob es überhaupt verfassungskonform ist.
Man tut dem Frauenfussball unrecht, bürdet man ihm die Rolle des Vorbilds auf. Weder die Women’s Super League noch die Euro kann es derzeit mit der gesellschaftlichen Bedeutung der Super League aufnehmen – und damit all jenen Konflikten, die eine Gesellschaft eben mit sich bringt. Der Wunsch der Sicherheitsdirektorinnen, das Publikum möge ab sofort in der Super League ein anderes sein, ist so hehr wie hilflos.