Es sind klare Worte, die Ruedi Nützi, Direktor der Fachhochschule Nordwestschweiz, in einem Gastbeitrag in der «NZZ» Ende Januar wählte: «Statt uns halbherzig und unkoordiniert mit China auseinanderzusetzen, müssen wir hinschauen, aufwachen und handeln.» Die Stossrichtung, der Bund müsse eine Strategie entwickeln im Umgang mit China, wird von anderen Experten geteilt, auch die Politik befasst sich damit. Einer, der das anders sieht, ist Botschafter Johannes Matyassy. Der 60-Jährige ist Leiter der Abteilung Asien und Pazifik im eidgenössischen auswärtigen Amt und äussert sich im Gespräch mit der «Schweiz am Wochenende» über die Schweizer China-Strategie, Investitionskontrollen und die neue Seidenstrasse von China.
Herr Botschafter: Hiesige China-Experten sähen es gerne, wenn die Schweiz eine einheitliche Strategie gegenüber China verfolgen würde, vor allem was wirtschaftliche Interessen anbelangt. Sind sie derselben Ansicht?
Johannes Matyassy: Seitens des Bundes haben wir eine Strategie. Daraus resultiert zum Beispiel, dass wir ein Freihandelsabkommen haben und bei der neuen Seidenstrasse mitmachen. Der Grundteppich ist somit gelegt. Auch im internationalen Vergleich sind wir in China gut aufgestellt. Die Frage ist nun: Wie wollen wir weitergehen? Will man alles koordinieren, wollen wir bei gewissen Dingen Riegel schieben?
Sie wollen dies nicht.
Es entspricht nicht dem Wesen der Schweiz, wenn der Bund diktiert, was man mit China machen kann und was nicht.
Wird die Schweiz in China überhaupt genügend wahrgenommen?
Wir haben uns oft gefragt, warum sich China so um uns bemüht. Ich glaube, wir müssen aufhören zu denken, dass wir ein kleiner Player sind, nur weil wir über ein kleines Territorium verfügen. Die Schweiz ist eine Finanzmacht, eine Wirtschaftsmacht. Für China sind wir ein wichtiger Player.
Neue Seidenstrasse
Die neue Seidenstrasse ist ein chinesisches Infrastruktur-Projekt. China will mit gross angelegten Investitionen neue Handelswege für das Land erschliessen. In China heisst das von Staatschef Xi Jinping 2013 initiierte Projekt «One belt, one road». Belt symbolisiert dabei die Seidenstrasse der Antike, welche China mit Europa und mit dem Nahen Osten verband. Road meint den Seeweg in Richtung Afrika und in das Mittelmeer. Im Zentrum stehen der Initiative stehen vor allem Infrastruktur-Projekte wie Strassen und Häfen in den einzelnen Ländern.
Warum bemüht sich China um die Schweiz?
Wir haben manchmal den Eindruck, dass China uns als Speerspitze benutzt, um der EU aufzuzeigen: Seht her, ein territorial grosses Land wie China kann mit einem territorial kleinen Land wie der Schweiz zusammenarbeiten. Wir diskutieren auf Augenhöhe, und das obwohl wir völlig verschiedene Werte, völlig verschiedene Systeme haben. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Wir können dezidiert auftreten gegenüber China, weil das Land auch etwas von uns will.
Warum schafft die Schweiz trotzdem die Marktöffnung in China nicht?
Wir haben mit dem Freihandelsabkommen einen ersten Schritt gemacht. Das Abkommen funktioniert sehr gut, aber natürlich gibt es Verbesserungspotenzial. Deshalb bemühen wir uns, das Abkommen zu überarbeiten und zu erweitern. Denkbar, dass die Chinesen befürchten: Was China der Schweiz gibt, muss es auch anderen geben. China tut sich allgemein schwer, seinen Markt zu öffnen. Denn das Land hat kein marktwirtschaftliches System. Die Chinesen sind vor allem daran interessiert, andere Märkte zu öffnen, weil sie Überkapazitäten haben.
Die Investitionen der Chinesen in der Schweiz werden kritisiert. Verstehen Sie das?
Ja. Es ist ganz wichtig zu beobachten, wie sich gewisse Investitionen nun entwickeln. Was passiert zum Beispiel mit Syngenta? Wir haben es in letzter Zeit gesehen, dass amerikanische Firmen Schweizer Unternehmen übernommen, etwas versprochen und dann zugemacht haben. Etwa bei General Electric. Jetzt müssen wir Erfahrungen sammeln mit chinesischen Investitionen: Wie entwickelnie Arbeitsplätze hier? Oder wird einfach nur das Know-how abgesaugt?
Wäre eine Investitionskontrolle eine Lösung?
Das muss die Politik entscheiden. Es gibt Sektoren, die jetzt schon geschützt sind. Ich könnte mir vorstellen, weitere rote Linien zu ziehen. Die Chinesen investieren nicht in alles, sondern dort, wo sie einen Nutzen für sich sehen. Da müssen wir schauen: Sind das auch für uns die wichtigen Sektoren? Wenn ja, müssen wir dort eventuell die Schutzmauern erhöhen?
Aber nicht, dass eine komplette Investitionskontrolle gemacht werden müsste?
Nein, ich denke nicht, dass das die Lösung ist. Sehen Sie, ich reise sehr viel in Asien herum. Es gibt kein asiatisches Land, in dem die Schweiz nicht unter den grössten Investoren ist. Jetzt kann man natürlich sagen, die Schweiz ist nicht mit China vergleichbar. Aber wir können nicht jammern, wenn andere bei uns anfangen zu investieren.
Eine konkrete Investition ist die neue Seidenstrasse. Wie kann die Schweiz da profitieren?
Es geht nicht nur ums Profitieren. Die Seidenstrasse ist in grossen Zügen noch eine Vision. Was fehlt, ist, dass die einzelnen Projekte zusammengebracht werden. Bisher läuft vieles unkoordiniert. Die Schweiz wird profitieren, indem wir durch die Mitwirkung am Projekt, für unsere Firmen die Türen aufmachen. Eine Hauptaufgabe der Schweiz ist es aber auch, auf Transparenz und die Einhaltung internationaler Standards in allen Bereichen wie Umwelt, Menschenrechtsfragen oder im Beschaffungswesen hinzuwirken.
Macht die Schweiz genug, um auf diese Fragen hinzuweisen?
Es wird gelegentlich behauptet, wir vertreten gegenüber China nur die Wirtschaftsinteressen. Das trifft nicht zu. Weil wir aber auf mehreren Ebenen im Dialog mit China stehen, können wir auch Themen wie die Menschenrechtslage im Klartext aufs Tapet bringen. Es braucht die Gesamtzusammenarbeit, um bei Menschenrechten etwas zu bewegen. Wenn man nur dieses eine Thema bearbeiten würde, dann würden die Chinesen kaum darauf eingehen.
Was sind die Gefahren für die Schweiz bei der Seidenstrasseninitiative?
Gefahren bei dieser Initiative bestehen vor allem für Ländern, in denen Projekte realisiert werden: Es können grosse Abhängigkeiten entstehen, es kann zu übermässiger Verschuldung von Ländern führen und es kann zu Umweltschäden kommen. Kurz gesagt: Es gibt viele Chancen, aber auch erhebliche Risiken. Es wäre gelogen, wenn man dies nicht transparent sagt.
Welche konkreten Risiken sind dies?
Speziell für die Schweiz entstehen, neben den allgemeinen, etwa Risiken im Imagebereich. Zum Beispiel wenn ein grosses Projekt auf Grund läuft oder ein Umweltschaden entsteht und eine Schweizer Firma mitverantwortlich ist. Da müssen wir die Risiken bei jedem Projekt genau abwägen.
China trifft mit der neuen Seidenstrasse aber offenbar einen Nerv?
Ja. Die Frage ist: Wo sind die Gegenprojekte? Ist es der Mauerbau zwischen den USA und Mexiko? Wir haben momentan zwei Entwicklungen, die diametral auseinandergehen. Wir können China nicht vorwerfen, dass sie eine Lücke füllen, die nun entsteht, weil sich die USA zunehmend mit sich selber beschäftigen. Die Chinesen sind berechenbar und zuverlässig.