Die Begleitumstände des Interviews mit US-Politologe Paul Freedman sind speziell: Es findet auf Einladung der US-Botschaft in deren Berner Residenz statt. Noch weiss man zwar nicht, wer dort als neuer Botschafter einzieht (siehe Box), höchstwahrscheinlich wird es aber ein Vertrauter von US-Präsident Donald Trump sein. Dass Freedman und er das Heu nicht auf der gleichen Bühne haben, ist bekannt – also betont die Pressechefin der US-Botschaft gleich zu Beginn des Gesprächs, dass der Professor «seine eigene Meinung» vertrete, die «nicht zwingend mit der Position der US-Regierung» übereinstimmen müsse.
Zur Person
Der US-Amerikaner Paul Freedman (50) doziert als Politologie-Professor an der University of Virginia, am Woodrow Wilson Department of Politics. Seine Forschungsschwerpunkte sind Medien und Politik, Wahlverhalten und Wahlkampf-Kommunikation sowie Nahrungspolitik. Er schreibt regelmässig für Wissenschaftspublikationen, hat mehrere Bücher veröffentlicht und wurde dafür auch ausgezeichnet. Seit 2000 arbeitet er während der US-Wahlen zudem als Analyst für ABC-News. In den vergangenen zwei Wochen hat er auf einer Rundreise durch Deutschland, Österreich und die Schweiz an zahlreichen öffentlichen Auftritten und Hintergrundgesprächen teilgenommen.
Herr Freedman, die Schlagwörter der Stunde sind «Fake-News» und «Alternative Facts». Leben wir in
einem neuen Zeitalter?
Paul Freedman: Es gab schon immer unwahre Nachrichten. Schauen Sie (Freedman zeigt auf seinem Computer Covers von diversen US-Magazinen, Anm. d. Red.). Hier titelte eine Zeitschrift in den 1990er-Jahren, dass Hillary Clinton ein Alien-Baby adoptiert
habe. Oder hier heisst es, «Trumps Geliebte betrügt ihn mit Tom Cruise» – das ist ein Cover aus den 80er-Jahren. Ich denke, nur wenige Leute schenkten diesen Geschichten damals Glauben und es war einfacher, ihnen aus dem Weg zu gehen. Facebook und Twitter machen diese Abgrenzung heute schwieriger, zudem können Falschnachrichten auf Social Media viel schneller verbreitet werden als früher.
Neu ist, dass der Präsident persönlich höchst zweifelhafte Nachrichten absetzt. Letztes Wochenende twitterte Präsident Trump etwa, sein Vorgänger Barack Obama habe seine Telefone während des
Wahlkampfs abgehört. Wie ernst soll man so eine Anschuldigung nehmen?
Das ist eine gravierende Anschuldigung. Genauso besorgniserregend ist aber das offensichtliche Ausbleiben von irgendwelchen Beweisen sowie der Zwist innerhalb der Regierung.
FBI-Direktor James Comey bat das Justizdepartement, nicht auf die Anschuldigungen einzugehen.
Das ist verständlich. Die Leute fragen sich, wie Trump auf solche schwerwiegenden Vorwürfe kommt. Die einzigen Quellen, auf die sich Trump zu stützen scheint, kommen von zweifelhaften Medien.
Wer wir neuer US-Botschafter?
Die letzte US-Botschafterin in der Schweiz, Suzi LeVine, war zuvor Wahlkampfhelferin des früheren US-Präsidenten Barack Obama. Sie gab ihr Amt gleichentags wie er auf und kehrte im Januar in ihre Heimatstadt Seattle zurück.
Seither wird spekuliert, wer ihr Nachfolger werden könnte. Die US-Botschaft sagt auf Anfrage, dass man «keinen Zeitrahmen» für die Ankündigung nennen könne, da dies «von Fall zu Fall» unterschiedlich sei.
Klar ist: Der Kandidat wird von US-Präsident Donald Trump ernennt und muss in der Folge vom Senat bestätigt werden. Auf die Frage, ob wieder eine Person aus dem (Wahlkampf-)Umfeld des Präsidenten in die Schweiz geschickt werde, sagt die US-Botschaft: «Es ist wahrscheinlich, dass es wie in der Vergangenheit wieder ein politischer Kandidat und kein Karrierediplomat sein wird – eine entsprechende Richtlinie gibt es dazu aber nicht.» (FUM)
Sind solche Tweets reine Ablenkungsmanöver? Ein paar Tage zuvor war sein Justizminister Jeff Sessions in der Bredouille, weil er im Wahlkampf Kontakte mit
Russland pflegte.
Es ist durchaus möglich, dass hinter den Tweets eine Strategie steckt, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf andere Themen zu lenken. Es gelingt ihm auf jeden Fall, die Mainstream-Medien zu beeinflussen. Er bestimmt ihre Agenda.
Sollten die klassischen Medien denn einfach ignorieren, wenn Trump wie beim «Bowling Green Massacre», das nie stattgefunden hat, oder der «Last Night in Sweden» wieder Unwahrheiten verbreitet?
Nein, das ist keine Lösung – es sind und bleiben Aussagen des US-Präsidenten. Und wenn er sagt, sein Vorgänger habe ihn abgehört, ist das ernst zu nehmen. Die Herausforderung ist, der Geschichte das richtige Gewicht zu geben, ohne andere wichtige Themen zu vernachlässigen. Diese Balance ist schwierig. Denkbar wäre, eine Rubrik einzuführen, in der jeder einzelne Tweet auf seinen Wahrheitsgehalt evaluiert wird. Quasi ein Wahrheitsrating.
Denken Sie, Trump schreibt die Tweets selbst?
Analysen im Wahlkampf zeigten mal, dass manche Tweets von Android-Handys und andere von iPhones abgeschickt wurden. Möglicherweise stammt die eine oder andere Botschaft von einem Mitarbeiter. Aber ich denke, er verfasst sie mehrheitlich selbst.
Man hat das Gefühl, dass das Weisse Haus fast täglich neue Mega-Schlagzeilen produziert, die man gar nicht mehr in Ruhe verarbeiten kann: Abhörvorwürfe, Verbindungen zu Russland, eine neue Einreisesperre. Was bedeutet diese Reizüberflutung für die Wahrnehmung der Politik in der Gesellschaft?
Es ist ermüdend. Der Grad an Unberechenbarkeit ist riesig. Das Volk ist erschöpft und fragt sich jeden Morgen: Was passiert heute wohl? Viele Leute sagen sich aber weiterhin, ach, was geht mich das an, das ist Politik.
Andererseits weckt die Trump-Wahl die Zivilgesellschaft auf.
Absolut, denken Sie nur an die Frauenmärsche nach der Vereidigung oder die spontanen Proteste an Flughäfen nach der ersten Einreisesperre. Die Leute überfluten Townhall-Meetings mit Kongressabgeordneten. In meiner Stadt Charlottesville verlangten die Leute von ihrem republikanischen Abgeordneten ein solches Treffen. Er weigerte sich. Und so versammelten sich 1200 Leute an einer High School und führten es ohne ihn durch.
Erleben wir also eine Rückkehr zur Agora als Platz der öffentlichen Meinungsbildung, so wie im alten Griechenland, und das im digitalen Zeitalter?
Nein nein, die Agora kehrt nicht zurück. Die sozialen Medien sind ein Mittel für solche Versammlungen, für sozialen Aktivismus. Sie sind eine Brücke zwischen Bürgern und Politikern. Das ist die gute Seite der sozialen Medien.
Die schlechte?
Sie können auch eine Barriere darstellen. Viele Leute bewegen sich nur noch in ihrem gleichgesinnten Umfeld, sie kapseln sich ab und hören keine gegenteiligen Meinungen mehr. Zudem erlauben die sozialen Medien die einfachere Verbreitung von «Fake News». Dabei haben wir die Waffen gegen «Fake News» in unserer Hand: Journalismus! Wir müssen den Leuten beibringen, was Journalismus ist, Journalismus unterstützen und für Journalismus bezahlen.
Viele etablierte Pressetitel verlieren aber stetig Leser.
Ich frage meine Studenten jeweils zu Beginn eines Semesters: Habt ihr eine Zeitung abonniert? Fast alle verneinen. Dann frage ich sie: Wärt ihr bereit, fünf Dollar pro Woche für Nachrichten zu bezahlen? Die meisten verneinen immer noch. Als Letztes frage ich sie, wie viel sie pro Woche bei Starbucks ausgeben (lacht). Das öffnet den Studenten die Augen, dass sie echten Journalismus nicht gratis kriegen.
Ein schwieriges Unterfangen, wenn der mächtigste Mann der Welt die Journalismusbranche ständig
verunglimpft und als «Fake News» bezeichnet.
Leider, ja. Er bezeichnet die «New York Times» und andere renommierte Titel als «Fake News». Er hat sich den Begriff einverleibt, um gegen alle Mainstream-Medien zu schiessen, die ihn kritisieren. Die Fake-News-Medien seien nicht seine Gegner, sondern die Gegner des amerikanischen Volks, sagte er kürzlich. Das war eine Attacke auf die Medienfreiheit – und auf die amerikanische Demokratie.
Eine Attacke, die seine Unterstützer mittragen?
Viele ja, aber es gibt auch Trump-Wähler, die Zeitungen lesen und das kritisch sehen.
Wird sich innerhalb der Republikanischen Partei eine Art Aufstand bilden?
Ich denke schon, vor allem im Kongress. Manche Republikaner wie John McCain oder Lindsey Graham, die zwar nie Fans von Trump waren, ihn dann aber doch unterstützten, haben sich kritisch geäussert. Es gibt durchaus rechte Stimmen, die eine Untersuchung fordern zu Trumps Beziehungen mit Russland.
Die Kritik an Obamacare brachte Trump viele Wählerstimmen ein. Hätte es ohne Obamacare keinen Präsidenten Trump gegeben?
Die Republikaner stürzten sich auf Obamacare, aber man darf diesen Aspekt nicht überschätzen: Wenn es nicht Obamacare gewesen wäre, hätten sie sich auf ein anderes Thema eingeschossen. Bei der Ablehnung der Gesundheitsreform war das Wort «Obama» fast wichtiger als «Care». Die Feindseligkeit gegenüber Obama war enorm.
Auch ein Grossteil der ärmeren Wählerinnen und Wähler, die Jobs verloren haben, stimmten für Trump – also für einen Milliardär, der in einem goldenen Penthouse wohnt und mit dem TV-Spruch «You’re fired!» Absetzungen geradezu zelebrierte.
Er profitierte enorm von seiner Berühmtheit, die Leute kannten ihn als entscheidungsfreudigen Leader. Das zeigte sich vor allem in den Primärwahlen, als Trump praktisch keine TV-Werbung schaltete. Er hatte es schlicht nicht nötig. Er war ein berühmter,
verrückter Kauz ohne politische Erfahrung. Und er provozierte, er war News! Eine Studie errechnete, dass er «Gratis-Werbung» im Umfang von 2 Milliarden Dollar erhielt. Ich persönlich zweifle diese Zahl allerdings an.
Hillary Clinton hat von Frauen viel weniger Stimmen erhalten als erwartet. Hat das Video, in dem sich Trump abschätzig gegenüber Frauen äusserte, ihn gar nicht so viele Stimmen gekostet wie gedacht?
Bei einer normalen Wahl hätte so ein Video das politische Todesurteil bedeutet. Aber das war keine normale Wahl, die Fronten waren zu polarisiert. Ich vermute, dass die meisten Wähler ihren Entscheid für oder gegen Trump zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Videos bereits gefällt hatten.
Sie waren während der Wahlen live im Studio des Senders ABC und bestimmten mit, wann der Sender einen Bundesstaat «callen», also den Zuschauern vermelden kann, dass er entschieden ist. Wie geht man da genau vor?
Details darf ich nicht verraten. Bei uns trafen die Resultate der Nachwahlbefragungen und weitere Informationen ein, mit denen wir dann statistische Modelle fütterten.
Und wer trifft die Entscheidung?
Es ist eine Teamarbeit, die zwar spannend, aber heikel ist – denn natürlich will man keinen falschen «Call» machen, aber auch nicht langsamer sein als die Konkurrenz.
Finden Wahlkämpfe in Zukunft nur noch in den sozialen Medien statt?
Das glaube ich nicht. Es ist noch zu früh, um die Auswirkungen auf traditionelle Wahlkampfmethoden zu sehen. Die sozialen Medien werden wichtiger, klar, aber die meisten Amerikaner beziehen ihre News noch immer vom Fernsehen.
Dann hätte die berühmte Talk-Show-Moderatorin Oprah Winfrey keine schlechten Chancen. Sie sagte kürzlich, sie könne sich vorstellen, zu kandidieren. Sind das die
Celebrity-Wahlkämpfe der Zukunft? Oprah Winfrey gegen Wrestler Hulk Hogan zum Beispiel?
Ich denke nicht. Andererseits habe ich noch im letzten Jahr ständig gesagt, dass es absolut unmöglich ist, dass Donald Trump der republikanische Kandidat sein wird. Ich habe eine harte Lektion gelernt. Die Dinge, die wir am wenigsten erwarten, geschehen manchmal. Und manchmal sogar zweimal. Trump gewann die Nomination und dann die Wahl. Oprah Winfrey gegen Hulk Hogan? Das ist das Lächerlichste, was ich je gehört habe. Und deshalb ist es möglich.
2018 stehen die Midterm-Elections an, bei denen ein Grossteil des Senats und des Repräsentantenhauses neu gewählt wird. Womit rechnen Sie?
Normalerweise verliert die Partei des frisch gewählten Präsidenten Sitze in den Midterms. Das ist die Erwartung. Die Frage ist, ob sie mehr oder weniger als üblich verlieren. Im Senat ist die Situation speziell. Vor sechs Jahren haben die Demokraten viele Sitze hinzugewonnen. Diese müssen sich nun der Wiederwahl stellen. Rein zahlenmässig wird es deshalb schwierig für die Demokraten, zusätzliche Senatssitze zu gewinnen.
Wie werden die Wahlkämpfe geführt werden?
Viele werden offenkundig als Gegner von Präsident Trump antreten. In meinem Staat, in Virginia, haben wir bereits diesen Herbst die erste Gouverneurswahl nach den Präsidentschaftswahlen. Ein Demokrat führt seinen Wahlkampf offiziell als Anti-Trump-Kandidat.
Und wenn er gewinnt?
Dann wird dies als Indiz dafür sein, dass die Amerikaner reagieren, ja dass sie sich wehren.