Sabine Kuster
«Dialog» lautet das Schlüsselwort in Aargauer Schulen, wenn Eltern nicht wollen, dass ihr Kind an der Weihnachtsfeier oder dem Schwimmunterricht teilnimmt. Sie werden zu einem klärenden Gespräch eingeladen. Erst dann wägt die Schule oder das Departement Bildung, Kultur und Sport (BKS) ab: Ist in diesem Fall das Erziehungsrecht der Eltern oder der öffentliche Bildungsauftrag wichtiger? Ist die Glaubensfreiheit oder der Gleichstellungsauftrag relevanter? Und was nützt dem Kind mehr - im Moment und in Zukunft?
Die Richtlinien in Kürze
Religiöse Feiertage: Dispensationsgesuch ist möglich.
Christliche Schulfeiern: Sind erlaubt. Kompetenz zur Dispensation liegt bei der Schule.
Unterrichtsfach Ethik und Religionen: Keine Dispensationen aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen möglich.
Schwimmunterricht: Obligatorisch.
Dispensationen werden nur sehr restriktiv erteilt.
Speisevorschriften: Schüler müssen religiöse Speisevorschriften einhalten können.
Lager, Schulreisen, Exkursionen: Sind Teil des Unterrichts. Falls Eltern trotz Gesprächen nicht einwilligen, muss der Schüler während dieser Zeit den Unterricht einer anderen Klasse besuchen.
Religiöse Symbole und Kleidung: Erlaubt. Es gibt keine Kleidervorschriften.
(Handreichung des BKS, 2008)
Auch Christen beschweren sich manchmal
«Die Schulen sind mit dieser Thematik seit langem vertraut», sagt Priska Furrer, Leiterin Interkulturelle Erziehung der Abteilung Volksschule des BKS. «Sie bemühen sich um tragbare Lösungen.» Sie weist darauf hin, dass es bei diesen Regeln nicht nur um Andersgläubige gehe. «In verschiedenen Teilen des Aargaus gibt es christliche Eltern, die nicht wollen, dass ihre Kinder ‹Die kleine Hexe› lesen.»
Die Bildungsdirektion des Kantons Zürich hat ihre Richtlinien zum Umgang mit muslimischen Schülern überarbeitet und beschlossen, dass der Schwimmunterricht grundsätzlich obligatorisch ist. Im Aargau beschränken sich die schriftlichen Regeln nicht nur auf Muslime: «Umgang mit religiösen Bedürfnissen an der Volksschule» heisst das Dossier aus dem Jahr 2008. Zwar nennt es das BKS bloss eine «Handreichung» und lässt den Schulen einen weiten Ermessensspielraum. Dennoch sind die Aussagen klar (siehe auch Kasten oben).
Konfliktpunkt Schwimmunterricht
Sport- und Schwimmunterricht (sofern angeboten) sind obligatorisch. «Dispensationen für den Sportunterricht sind grundsätzlich nicht vorgesehen», heisst es im Dossier des BKS. Jene für den Schwimmunterricht würden tendenziell abgelehnt. Die Schüler dürfen allerdings auf Wunsch separat duschen, in einem Ganzkörperanzug baden und von einem gleichgeschlechtlichen Lehrer unterrichtet werden. «Seit 2005 wurden etwa vier Gesuche bewilligt - eines davon war nicht religiös begründet, sondern aufgrund einer Wasserphobie», sagt Priska Furrer. Seit 2008 sind keine Gesuche um eine Dispens vom Sport- oder Schwimmunterricht mehr eingegangen.
1999 wurde im Aargau die Beschwerde einer Christin tamilischer Herkunft vom Erziehungsrat gutgeheissen. Seit dem Bundesgerichtsentscheid vom 28. Oktober 2008 jedoch gilt, dass alle Kinder die obligatorischen Schulfächer besuchen müssen. Ein Tunesier in Schaffhausen hatte geklagt, weil er seine beiden Söhne vom Schwimmunterricht dispensieren lassen wollte.
Schulen haben keine Kleidervorschriften
Bezüglich des Tragens von Kopftüchern, Kreuzen oder Ähnlichem gibt es keine Vorschriften. Gemäss der Volksschulverordnung sind die Eltern lediglich verpflichtet, ihre Kinder «sauber und korrekt sowie den Witterungsverhältnissen angepasst gekleidet» zur Schule zu schicken. Priska Furrer weist darauf hin, dass im Aargau nur vereinzelt Schülerinnen ein Kopftuch tragen würden.
Was religiöse Speisevorschriften betreffen, so haben die Schüler das Recht, diese einzuhalten. Der Auftrag der Schule werde dadurch nicht infrage gestellt, schreibt das BKS. Die Schulen haben darauf Rücksicht zu nehmen. Allerdings sind die Schüler im Aargau zum Besuch des Unterrichts verpflichtet - im Kanton Zürich können die Eltern ihre Kinder während des Ramadans vom Turn- und Kochunterricht befreien lassen.
Ein Gesuch auf Dispensation können Eltern im Aargau jedoch für hohe Feiertage ihrer Religion stellen. Den versäumten Unterricht müssen die Schüler nacharbeiten. Dispensationen gehen nicht zulasten des freien Schulhalbtags pro Quartal (§ 38).