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Interview

«Erst mal drüber schlafen»: Nationalrat Kurt Fluri kritisiert Panik-Politik des Parlaments - und seiner Fraktion

Präsident der Stiftung Landschaftsschutz, Ex-Präsident der staatspolitischen Kommission, Freisinniger: Nationalrat Kurt Fluri hat viele Hüte an in einer Session, welche Schutz und Nutzen der Natur neu auslotet.

Sieht den Umweltschutz unter Druck: Kurt Fluri, FDP-Nationalrat aus Solothurn.
Bild: José R. Martinez / Solothurner Zeitung

Herr Fluri, wie erleben Sie die aktuelle Session?

Kurt Fluri: Es ist eine komische Session, hektisch bis hysterisch. Es ist, als kannte das Parlament nur noch den Krisenmodus. Alles dreht sich um die Energieproduktion - mit unüberlegten Entscheiden. Es gilt zu verhindern, was bei der Energiestrategie 2050 geschah: Nach Fukushima beschloss man einen panikartigen Ausstieg aus der Atomkraft. Wir hätten die heutigen Probleme nicht.

Geht es nicht darum, dass die Politik die Zeichen der Zeit lange verschlafen hat? Gerade Frankreich zeigt, dass Kernkraft auch ein Klumpenrisiko bedeuten kann.

Es zeigt die Bedeutung der Kernkraft. Aber nehmen Sie die «dringlichen» Entscheide des Ständerats: Für das kommende Winterhalbjahr bringen diese nichts. Es wird aber mit einer drohenden Mangellage ab 2025 argumentiert, was sicher nicht dringlich ist.

Sie sind seit 2003 im Parlament und haben den Ruf eines staatspolitischen Gewissens. Es fällt auf, dass der Ständerat - eigentlich die Chambre de Réflexion - die aktuellen Schnellschüsse produziert hat.

Das verunsichert mich auch. Ich hatte den Eindruck, dass Mitte-Ständerat Beat Rieder und andere den Umweltschutz regelrecht aushebeln wollten.

Sie sagen andere, aber eigentlich meinen Sie Ihre eigenen Fraktionskollegen?

Ja, also die FDP-Mitglieder in der Umweltkommission habe ich nicht verstanden. Man muss kein Jurist sein, um zu wissen, dass einige Bestimmungen gegen die Verfassung verstossen.

Am Mittwoch war es FDP-Präsident Thierry Burkart, der Ihre Parteikollegen Martin Schmid und Ruedi Noser in der Debatte zurückrief.

Ja, und da war ich auch sehr froh drum. Burkart hat bereits in der Fraktionssitzung in Erinnerung gerufen, dass wir alle unser Gelöbnis auf die Verfassung ablegen. Herr Noser hat vor allem die Wirtschaft im Kopf, für ihn dient die Verfassung nur der Wirtschaft. Ausserdem ist es ein Mythos, dass Naturschutz nur ein linkes Anliegen sei.

Wie kommt das Parlament wieder zur Räson?

Es soll mal drüber schlafen. Es reicht, wenn manche Entscheide erst in der Wintersession fallen. Die Weichen sind gestellt.

Ist die Verdoppelung der Ausbauziele der Erneuerbaren eine Reaktion auf die jahrelange Verhinderungspolitik des Umweltschutzes?

Generell hat man diesen Eindruck. Allerdings hat das Volk ein Beschneiden des Verbandsbeschwerderechts klar abgelehnt. Ausserdem ist die rechtliche Erfolgsquote des Umweltschutzes recht hoch. Wir von der Stiftung Landschaftsschutz haben eine Quote von 80 Prozent. Klar ist: Es braucht Konzessionen, aber von beiden Seiten.

Recht erhalten ist das eine, aber bedeutet Verantwortung im Klimaschutz zu übernehmen nicht auch, mal eine fünf gerade sein zu lassen?

Das kann man schon ab und zu, ist aber jeweils das Resultat einer Interessenabwägung. Unser Auftrag ist die Anwaltschaft für die Natur. Es gibt viele Fälle, die wir prüfen, und letztlich keine Einsprache erheben - von diesen hört man dann einfach nicht.

Ein Versuch zum Konsens war der Runde Tisch zur Wasserkraft. Aber auch da scherte Ihre Stiftung aus.

Das Vorgehen war gut. Im Wesentlichen ging es um drei umstrittene Projekte: Grimsel, Trift und Gornerli. Im letzten Fall konnten wir nicht zustimmen, weil das Vorhaben noch früh in der Planung steckt. Andere Umweltschutzverbände haben die Erklärung dazu unterschrieben, aber unter dem Vorbehalt von Einsprachen gegen konkrete Projekte. Das wollten wir nicht.

Sie sind ja auch im Vorstand des Kantonalverbands von Pro Natura. Wie hoch wird der Druck sein, sich mit Einsprachen zurückzuhalten?

Der wird gross sein, aber am Ende liegt die Entscheidung bei den Kantonalsektionen.

Was ist denn der Runde Tisch wert?

Juristisch: Nichts. Politisch höchstens symbolisch.

Was wäre denn Ihr Ansatz, die Zielkonflikte zwischen Umwelt- und Klimaschutz zu einen?

Wir müssen mehr sparen. Die Energiespartipps des Bundesrats bewegen sich alle im Luxusbereich. Solange wir bei 30 Grad eine Eishockey-Saison starten, haben wir genug Energie. Mittlerweile sollen sogar Fitnessstudios systemrelevant sein.

Also braucht es Verbote?

Wahrscheinlich schon. Bevor wir den Naturschutz angreifen, müssen wir den Komfortbereich der Einschränkungen verlassen.

Das Bundesamt für Justiz hat diese Woche vorgeschlagen, das Plangenehmigungsverfahren für grosse Kraftwerke beim Bund zu bündeln. Wie beurteilen Sie das?

Es wäre ein Armutszeugnis für die Kantone. Der Föderalismus hat seit der Pandemie stark gelitten. Aber die Kantone müssen sich nicht wundern: Sie lehnen ja auch die Verantwortung für ihre Energieunternehmen ab.

Und inhaltlich?

Ich finde die Idee einleuchtend, es wurde ja mit der Analogie zur Atomenergie argumentiert. Diese Verantwortung lag nie bei den Kantonen. Aber wenn man dies tut, dann nicht unter dem Eindruck einer akuten Krise, sondern aus einer gewissen Distanz.