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Ukraine-Krieg

«Endlich Licht in die Blackbox bringen»:
Ruf nach Regulierung im Rohstoffsektor wird lauter

Die Datenlage im Rohstoffsektor sei angesichts seiner Bedeutung in der Schweiz miserabel, monieren Fachleute. Nun steigt der Druck, die Branche stärker zu regulieren – etwa mit Hilfe einer neuen Aufsichtsbehörde.
Miteigentümer der Firma Evraz in Zug: der sanktionierte Oligarch Roman Abramowitsch.
Bild: Bild: Anthony Anex/Keystone

Wie werden sich die Sanktionen gegen russische Unternehmen auf den hiesigen Wirtschaftsplatz auswirken? Gut einen Monat nach Kriegsbeginn in der Ukraine ist dies eine der Fragen, die die Schweizer Wirtschaft umtreibt. Welche unmittelbaren Folgen die Sanktionen haben können, zeigte sich jüngst exemplarisch an Nord Stream 2, der Betreibergesellschaft der nie in Betrieb genommenen Ostsee-Gaspipeline, die Ende Februar innert Tagen in die Insolvenz rutschte und alle Angestellten in Zug entlassen musste .

Auch andere russische Unternehmen sind in der Zwischenzeit in akute Zahlungsnot geraten, darunter beispielsweise die Schweizer Ableger der beiden grössten russischen Staatsbanken VTB und Sberbank .

In den meisten Fällen entfalten die Sanktionen ihre Wirkung allerdings auf diffusere Weise und beginnen erst nach und nach, am Fundament der betroffenen Unternehmen zu nagen. Das Problem bei der Frage nach dem Wirkungsradius der verhängten Wirtschaftssanktionen: Zum Teil wissen die Schweizer Behörden gar nicht, wie viele Unternehmen betroffen sein könnten – da sie die genaue Anzahl der hier ansässigen russischen Firmen nicht kennen. Kommt hinzu, dass die Jagd nach russischen Vermögenswerten hierzulande im Gegensatz zu anderen Staaten bisher nur zaghaft geführt wird.

Auf Nachfrage lässt etwa die Zuger Volkswirtschaftsdirektion durchblicken, dass sie nach wie vor keine Kenntnis von der genauen Anzahl russischer Unternehmen im Kanton hat. Es gebe «kein verlässliches Kriterium», mit dem sich Firmen mit russischem Konnex aus den Registern herausfiltern lassen. Deshalb habe man keine bessere Datenlage als noch zu Beginn des Ukraine-Krieges.

Damals hatte die Zuger Regierung an einer Pressekonferenz von rund 40 im Kanton ansässigen Unternehmen mit russischem Hintergrund gesprochen, musste aber zugleich einräumen, dass es gut und gerne auch «dreimal so viele sein könnten».

Rohstoffbranche gleicht einer «Blackbox»

Besonders eklatant wird die schlechte Datenlage im Rohstoffsektor. Elisabeth Bürgi, Lehrbeauftragte für Nachhaltigkeit in Rechtsetzung und Politik an der Universität Bern, sagt hierzu:

«Gemessen an seiner Bedeutung ist der Rohstoffhandel nur ganz schlecht mit Daten unterlegt.»

Die Branche gleiche einer Blackbox und sei durchzogen von Intransparenz.Selbst das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) begnügt sich mit Schätzungen. Die Letzten stammen aus dem Jahr 2019. Demnach sind hierzulande rund 930 Unternehmen mit über 10'000 Mitarbeitenden in der Rohstoffbranche tätig. Mit 226 Firmen und 2180 Beschäftigten rangiert der Kanton Zug dabei schweizweit auf dem zweiten Platz, hinter Genf mit 311 Firmen und 4368 Beschäftigten.

Wie viele von diesen Unternehmen einen russischen Konnex aufweisen, wissen die Behörden nicht. Immerhin heisst es bei der Zuger Volkswirtschaftsdirektion, dass jene russischen Firmen, «die seit Kriegsbeginn öffentlich bekannt wurden, alle zu den bereits 40 ermittelten gehören». Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass die schlechte Datenlage die Suche nach russischen Rohstoffgeldern erschwert.

Schweizer Ableger verschleiern oft ihre Eigentümer

Dabei ist diese Suche auch so schon schwer genug. Denn oft sind die Eigentumsverhältnisse in den Schweizer Niederlassungen der russischen Rohstoffkonglomerate nur schwer nachzuvollziehen.

Sie operieren dabei alle mehr oder weniger nach demselben Prinzip: Will man beispielsweise Stahl aus Russland beziehen, ist man gezwungen, dies über die in Zug ansässigen Handelsgesellschaften der russischen Stahlgiganten MMK oder Evraz zu tun; diese kaufen die Rohstoffe zu Tiefstpreisen in Russland ein und verkaufen sie dann zu Marktpreisen an internationale Abnehmer. Die Gewinne fliessen an die Eigentümer der Zuger Niederlassungen. Im Fall von Evraz ist dies unter anderem der sanktionierte russische Oligarch und Miteigentümer Roman Abramowitsch.

Zuger Niederlassung des russischen Stahlriesen Evraz.
Bild: Bild: Dominik Wunderli (Cham, 17. März 2022)

Um selbst nicht auf den Sanktionslisten der EU oder USA aufzutauchen, verschleiern die Schweizer Ableger der russischen Rohstoffkonzerne nicht selten ihre wahren Eigentümer hinter Strohmännern oder Briefkastenfirmen; hernach rührt auch der Hinweis der Zuger Behörden auf die «fehlenden Kriterien» bei der Bestimmung, ob eine Firma einen russischen Hintergrund aufweise oder nicht.

Hinzu kommt, dass der Rohstoffsektor von den Sanktionen bisher ohnehin kaum tangiert wird. Bisher wurde beispielsweise weder ein Stopp noch eine Reduktion der Käufe von russischem Erdöl und Erdgas ausgesprochen.

Dieser Missstand – zusammen mit der schlechten Datenlage im Rohstoffsektor und den oftmals undurchsichtigen Eigentumsverhältnissen – hat jüngst auch die Politik auf den Plan gerufen. So fordern diverse linke Politiker, die Sanktionsschlinge noch enger um russische Rohstoffunternehmen zu ziehen, da diese direkt oder indirekt zu Putins Kriegswirtschaft beitrügen.

Gemäss britischen Berichten soll beispielsweise Evraz Stahl zur Produktion von russischen Panzern geliefert haben; das Unternehmen, das bisher auf keiner Sanktionsliste auftaucht, bestreitet dies. Andere russische Rohstoffunternehmen mit Niederlassungen in Zug reagierten nicht auf Anfragen.

Neue Aufsichtsbehörde – analog zur Finma

Je länger der Krieg dauert, desto lauter wird zudem der Ruf nach einer Regulierung der Rohstoffbranche. Grüne sowie die SP haben jüngst erneut gefordert, die in der Schweiz ansässigen Rohstofffirmen stärker zu kontrollieren. Eine Renaissance erlebt dieser Tage etwa die Idee einer Aufsichtsbehörde für den Rohstoffsektor – als Ergänzung zur Finanzmarktaufsicht Finma, die sich für Rohstoffdeals nicht zuständig fühlt.

Die Idee geht zurück auf ein 2014 – auf dem Höhepunkt der Krimkrise – veröffentlichtes Projekt der Nichtregierungsorganisation Public Eye, in dem Struktur und Funktion einer solchen Aufsichtsbehörde skizziert werden. Sie taufte sie Rohma, in Anlehnung an die Finma, und richtete eine Internetseite für die fiktive Behörde ein, die noch immer aufrufbar ist .

«Im Rohstoffhandel gehört Intransparenz zum Geschäftsmodell. Die Schweiz hat von diesem Modell jahrelang mitprofitiert», moniert Public-Eye-Sprecher Oliver Classen. Die Folgen des Ukrainekrieges zeigten eindrücklich, wie «wichtig mehr Transparenz bei der Eigentümerschaft und den Finanzflüssen im Schweizer Rohstoffsektor wäre».

Auch wenn das Ansinnen aktuell noch wenig Chancen auf eine politische Mehrheit hat, glaubt Classen, dass der Wind hierzulande bald dreht:

«Angesichts der jüngsten Ereignisse wird es für den Bundesrat zunehmend schwieriger, sich aus der Affäre zu ziehen. Die Schweiz gerät zunehmend unter Druck, auch international, endlich Licht in die Blackbox zu bringen, die diese Hochrisikobranche darstellt.»