Der Kleine macht Lärm, während Mutti in der Wohnküche telefoniert. «Hör auf», verlangt sie, doch der Junge hört natürlich nicht auf. «Hörst du, was ich sage? Du hörst jetzt sofort auf!» Er hört aber weder zu noch auf. Und schon fliegt die Hand. Jetzt, im Moment des Schlages, verlangsamt sich das Geschehen plötzlich: Die Hand der Mutter trifft in Zeitlupe auf die linke Wange des Sohnes, sein Kopf dreht sich mit fliegenden Haaren weg, und das ganze Gesicht verzerrt sich unendlich langsam zu einer unfreiwilligen Grimasse.
Die ohne realen Gewalteinwirkung, sondern mit Digitaltrick produzierte Szene ist auf allen Fernsehkanälen Frankreichs zu sehen. Die «Stiftung für Kinder» hatte sie in Auftrag gegeben, um die fatale Wirkung von Ohrfeigen – «gifle» auf Französisch – plastisch vor Augen zu führen. 85 Prozent der Franzosen haben diese «Erziehungsmethode» laut Umfragen schon eingesetzt.
Umgekehrt haben sie mehr als 30 Länder verboten. Schweden war 1976 Pionier, Deutschland ist vor einem Jahrzehnt gefolgt. In der Schweiz lehnte der Nationalrat ein Züchtigungsverbot 2008 mit Hinweis auf die existierenden Richtlinien ab. Im lateinisch beeinflussten Frankreich werden Kinder vielleicht noch häufiger geohrfeigt; die Hälfte der Franzosen gab unlängst an, schon Sprösslinge unter zwei Jahren gezüchtigt zu haben, indem sie ihnen «eine» knallten, an den Haaren zogen oder den Hintern versohlten.
Bewusste Erziehungsmethode
Französische Eltern verteidigen sich gar nicht erst, ihnen rutsche ab und zu die Hand aus – sie wenden die Ohrfeige bewusst als Erziehungsmethode an. Dabei berufen sie sich auf den gesunden Menschenverstand, laut dem eine Schelle oft mehr als langes Zureden wirke.
Dem widersprechen die Pädagogen. Das Kind höre vielleicht mit dem Fehlverhalten auf, doch es beruhige sich keineswegs, meint Emmanuelle Piet, die Koordinatorin der aktuellen Werbekampagne. «Die einzige Person, die sich beruhigt, ist der Erwachsene.» Das Kind erleide hingegen neben dem Stress auch einen körperlichen Schaden. «Eine auch nur kleine Ohrfeige verformt das Gesicht des Kindes und schüttelt sein Hirn durch, sodass es zwei Sekunden aussetzt», erklärte Piet mit Hinweis auf medizinische Studien.
Dramatisch seien auch die sozialen Folgen. «Eine Ohrfeige lehrt das Kind nichts – ausser den Umstand, dass die Grossen zuschlagen, weshalb es auf dem Pausenplatz dann auch zuschlägt», meinte die Pädagogin auf «RTL». Kanadische Pädagogen und Kinderärzte hätten eruiert, dass Kinder, die körperlich gezüchtigt würden, ängstlicher, aggressiver und suchtgefährdeter seien und zum Beispiel auch schlechtere Noten hätten.
Recht auf gewaltfreie Erziehung
Solche Einsichten sind in Frankreich aber offenbar nicht sehr verbreitet, weshalb die Kinderstiftung auch den drastischen Effekt der Werbekampagne wählte. Piet fordert, dass Frankreich das in der UNO-Kinderrechtskonvention verankerte Recht auf gewaltfreie Erziehung in ein gesetzliches Verbot übernehme.
Die Franzosen scheinen darob kaum begeistert: In einer Spontanumfrage der Zeitung «Figaro» sprachen sich 92 Prozent der Leser gegen ein Gesetzesverbot aus. Das Hauptargument lautet, zur «gifle» gebe es oft keine Alternative. Piet widerspricht auch dem. Wenn ein Kleinkind bewusst nerve, sei es immer noch besser, sich seiner anzunehmen oder notfalls das Feld zu räumen; wenn es Pfannen auf den Boden werfe, müsse man sie eben höher lagern. Aber das brauche eben mehr Zeit als eine kleine Watsche.