notifications
Schweiz

Die Schweiz ist eine Insel der Glückseligen in stürmischer See

Eine repräsentative Umfrage von 1200 Schweizer Stimmbürgern zeigt: Die Schweizer hängen an traditionellen Werten wie Autonomie und Neutralität. Das Verhältnis zur Schweizer Armee bleibt ambivalent. Die Frage der Wehrform spaltet die Bevölkerung.
Die Schweizer hängen an traditionellen Werten wie Autonomie und Neutralität
Bild: Keystone

Das Jahr 2011 war geprägt von epochalen Entwicklungen in der Weltpolitik. Die arabische Welt rebellierte gegen jahrzehntelange Diktaturen und Europa schlingerte im Sog der Schuldenkrise immer stärker in eine veritable Existenzkrise. Immer mehr verdrängen Machtpolitik und Geopolitik der Grossstaaten das multilaterale, verrechtlichte globale System der 1990er-Jahre.

Für die Schweiz sind diese Megatrends schlechte Nachrichten. Als Kleinstaat ist die Schweiz auf Multilateralismus und Rechtsstaatlichkeit angewiesen, in einem anarchischen Konzert der Grossmächte hat die Schweiz keine Chance, ihre nationalen Interessen durchzusetzen. Die Wirtschaftskrise des Westens wirkt sich zudem direkt auf die Schweiz aus - sie liegt ja mitten in Europa und betreibt vor allem Handel mit den direkten europäischen Nachbarn und mit den USA.

Hohe Zukunftszuversicht

Vor diesem Hintergrund enthält die gestern in Bern vorgestellte Meinungsumfrage der ETH Zürich zu aussenpolitischen, sicherheitspolitischen und verteidigungspolitischen Trends zahlreiche verblüffende Aussagen der Schweizer Bevölkerung. Die Studie «Sicherheit 2012» beruht auf telefonischen Interviews mit 1200 Schweizer Stimmbürgern im Januar und Februar dieses Jahres, die Meinungsumfrage wird seit über 20 Jahren durchgeführt.

Zur Verfügung gestellt

78 Prozent der Befragten beurteilten Anfang Jahr die Zukunft der Schweiz optimistisch, erstaunliche 90 Prozent fühlen sich in der heutigen Zeit sicher. Dabei wird der Gang der Weltpolitik durchaus pessimistisch wahrgenommen. Nur gerade 8 Prozent glauben, die weltpolitische Lage werde sich in den nächsten fünf Jahren entspannen. 53 Prozent meinen, die Welt werde sich 2017 düsterer präsentieren; 38 Prozent erwarten keine Veränderungen. Offenbar glauben Herr und Frau Schweizer nicht, dass sich die düstere Entwicklung der Weltpolitik auch negativ auf die Schweiz auswirken könnte.

Schweiz als Insel der Glückseligen

Tatsächlich finden 80 Prozent der Befragten, die Zukunft der Schweiz werde hauptsächlich durch die Schweizer Bevölkerung und die Schweizer Politik beeinflusst. Nur eine Minderheit (36%) glaubt, dass die Zukunft der Schweiz vor allem von der Entwicklung anderer Länder abhänge. In der Schweizer Stimmbevölkerung überwiegt also überdeutlich die Meinung, trotz Globalisierung seien die Schweizer nach wie vor selbst Schmied ihres Glücks und hätten es selbst in der Hand, unsere Zukunft zu bestimmen - egal was in Rest-Europa oder dem Rest der Welt passiert.

Zu dieser Sichtweise der Schweiz als Insel der Glückseligen in einer stürmischen See passen weitere Aussagen: 80 Prozent der Befragten wollen, dass die Schweiz wirtschaftlich und politisch unabhängig bleibt. Der Wunsch nach einer möglichst autonomen Schweiz erreichte damit 2012 einen Höchstwert in der langjährigen Erhebungsreihe, nachdem sich 1999 weniger als die Hälfte dafür ausgesprochen hatten. Noch unbestrittener ist der Wert der Neutralität. 95 Prozent befürworten die Neutralität. In den 1990er-Jahren wollten rund 80 Prozent die Neutralität beibehalten, seit dem 11. September 2001 sind es rund 90 Prozent, Tendenz steigend. Damit ist klar: Das Prinzip der Neutralität bleibt für die Schweizer unantastbar. Gerade bei den politisch links Eingestellten schoss die Zustimmung zur Neutralität, die 1996 erst 72% betragen hatte, nach 9/11 nach oben und beträgt heute 89 Prozent. Immerhin 64 Prozent finden jedoch, die Schweiz solle bei politischen Konflikten klar Stellung beziehen. Die gewünschte Neutralität bezieht sich also vor allem auf das Verhalten bei militärischen Konflikten.

Solidarisch mit dem Rest der Welt

Herr und Frau Schweizer sind übrigens durchaus solidarisch mit dem Rest der Welt. 93 Prozent (2011: 89%) finden, die neutrale Schweiz solle in Konflikten vermitteln und Gute Dienste leisten. 62 Prozent (2011: 57%) wollen die Schweizer Entwicklungshilfe erhöhen. Die Autoren der ETH-Studien schliessen aus den Antworten auf eine Reihe von Fragen zur Neutralität: «Grosse Teile der Schweizer Stimmbürger sehen in der Neutralität weniger ein Instrument der Aussenpolitik als ein Wert an sich. Eine kritische Beurteilung der Chancen und Grenzen der schweizerischen Neutralitätspolitik im Kontext einer globalisierten Welt findet kaum statt.»

Im Zuge der Eurokrise und der zahlreichen Krisengipfel der EU-Staats- und Regierungschefs hat sich die traditionell kritische Sichtweise gegenüber der EU bestätigt und verschärft. Nur gerade 17 Prozent befürworten einen EU-Beitritt, 37 Prozent wünschen eine politische Annäherung zwischen Bern und Brüssel. Klar ist: Die Schweizer wollen grossmehrheitlich eine rein wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der EU, und zwar auf dem bilateralen Weg (81%, 2011: 77%) - den die EU allerdings nicht länger weitergehen möchte.

Neues Lieblingskind der Schweizer ist etwas überraschend die UNO: 68 Prozent (2011: 57%) sprechen sich dafür aus, dass sich die Schweiz aktiv und an vorderster Front für die Anliegen der UNO einsetzen soll - so viele wie nie zuvor. 65 Prozent (2011: 62%) wollen, dass die Schweiz einen Sitz im UNO-Sicherheitsrat erhält.

Armeegrösse bleibt kontrovers

Die Grösse der Schweizer Armee bleibt kontrovers: 44 Prozent (2011: 39%) wollen die Verteidigungsausgaben verringern, 7 Prozent (2011: 16%) wollen sie erhöhen, 46 Prozent finden sie gerade richtig. 1991, in der Euphorie nach dem Ende des Kalten Krieges, fanden noch 70 Prozent, die Schweiz gebe zu viel für die Armee aus. Im langjährigen Vergleich sind die Schweizer damit heute eher armeefreundlich. 48 Prozent (2011: 38%) möchten die Wehrpflicht aufheben. Gleichzeitig halten 52 Prozent an der Milizarmee fest, wohingegen 43 Prozent lieber eine Berufsarmee hätten. Nur 8 Prozent sind jedoch der Überzeugung, in den nächsten zehn Jahren sei eine Kriegsbedrohung durch einen anderen Staat wahrscheinlich. 75% (2011: 79%) der Schweizer erachten die Armee aber dennoch weiterhin als notwendig.