Die FDP hat schweizweit einen Lauf. Und in der Westschweiz erst recht. Bei den Wahlen im Kanton Waadt im Frühling baute die FDP ihre Vormachtstellung noch aus. Sie besetzt einen Drittel der Sitze im Kantonsparlament. In Neuenburg steigerte sie sich von 35 auf 43 Mandate, was mehr als einem Drittel aller Sitze entspricht. Auch in Freiburg legte die FDP deutlich zu. Für die Wahlen in Genf vom nächsten April kann sich die Partei gerade dank Zugpferd Pierre Maudet berechtigte Hoffnungen auf starke Gewinne machen.
Die Romands sind also ein Motor des freisinnigen Aufschwungs. In einem Bereich zahlt sich das jedoch nicht aus: In der Vertretung der Westschweizer in den Top-Positionen, die die nationale FDP zu vergeben hat.
Ab Anfang November, wenn der Tessiner Ignazio Cassis den Neuenburger Didier Burkhalter ablöst, verschwindet der Westschweizer Freisinn aus dem Bundesratszimmer. Erstmals seit 1848. Vorbei die Zeiten von Grössen wie Jean-Pascal Delamuraz (Bundesrat von 1984 bis 1998) oder Pascal Couchepin (von 1998 bis 2009). Mit Burkhalter stirbt die Spezies vorerst einmal aus.
Deutschschweizer haben das Sagen
Aber nicht nur im Bundesrat, auch in den Top-Positionen der Partei sind die Westschweizer nicht mehr vertreten. Mit Petra Gössi (SZ) leitete eine waschechte Deutschschweizerin die Partei. Mit Beat Walti wird mit grösster Wahrscheinlichkeit ein lupenreiner Zürcher Fraktionschef. Und damit Nachfolger von Cassis, dessen Stellvertreter er bereits ist.
Und so schnell wird sich, mindestens bezogen auf den Bundesrat, diese Situation nicht ändern. Johann Schneider-Ammann wird, wenn nicht alles täuscht, durch eine Deutschschweizer Persönlichkeit ersetzt.
In der FDP gibt diese für Konstellation hinter den Kulissen zu reden. «Es ist verblüffend, mit welchem Tempo die FDP die Frage ihrer Sensibilität für die Romandie geregelt hat», sagt ein Beobachter. So gründlich wurde die Sache geregelt, dass sie nicht einmal mehr ein öffentliches Thema sei.
Rückblende. Am 20. September wurde Ignazio Cassis in den Bundesrat gewählt. Diese Wahl war Teil und Resultat erfolgreichen Strategie der FDP-Spitze in Bern. Die Konkurrenten des Tessiners, die Westschweizer Isabelle Moret (VD) und Pierre Maudet (GE) hatten bei der FDP-Rennleitung von Anfang an sehr wenig Unterstützung.
Ignazio Cassis' Karriere in Bildern:
Lässt die FDP ihre Westschweizer hängen? In einigen Kreisen sind Unmut und Besorgnis tief, aber dem Parteifrieden zuliebe scheint derzeit Schweigen angesagt. Die FDP markiert Geschlossenheit, sie ist gut unterwegs, Nebengeräusche sind da unerwünscht.
Petra Gössi beschwichtigt
FDP-Präsidentin Petra Gössi bemüht sich auf Anfrage zudem, die Gemüter zu beruhigen. «Die Fraktion wird in der vorsessionalen Fraktionssitzung den neuen Fraktionschef oder die neue Fraktionschefin wählen», sagt sie. «Falls diese Position durch einen Deutschschweizer oder eine Deutschschweizerin besetzt werden sollte, ist es selbstverständlich, dass das Fraktionsvize-Amt durch eine Person aus der Romandie besetzt wird.»
Und auch in Sachen Bundesrat beruhigt sie die Westschweizer: «Ignazio Cassis versteht als Lateiner auch die Anliegen und Befindlichkeiten der Romandie sehr gut. Dies umso mehr, als er ein paar Jahre in der Romandie gelebt hat. Zudem spricht er französisch perfekt bilingue. Ich bin überzeugt, dass Ignazio Cassis mit seiner gewinnenden Art die FDP auch in der Romandie hervorragend vertreten wird.»