Wir schreiben von 22 Kindern, die nie mehr zurückkommen. Wir reden von 22 Müttern und 22 Vätern, die ihr Kind nie mehr in die Arme nehmen dürfen, nie mehr sehen werden.
Wer kennt das nicht, dieses Gefühl des Abschiednehmens, wenn die eigenen Kinder ins Skilager fahren. Und die ganz leise, unausgesprochene Angst tief im Herzen, sie kämen nicht mehr zurück. Und dann das unendliche Glück, wenn sie johlend, aber todmüde heimkehren.
Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf hat genau dieses Bild im Kopf: «Ich denke an meine Kinder, die oft zusammen in die Skiferien gefahren sind. Ich habe heute hier im Wallis Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden.»
In einem Online-Blog im Internet lesen wir die letzten Worte der toten Kinder aus Belgien. Es sind Lagerberichte, wie wir sie als Eltern heute alle kennen. Mit Bildern von fröhlichen, aufgestellten Kindern.
Der Schmerz kennt keine Grenzen; egal, wo wir leben; egal, wo wir sind, ob in der Schweiz oder in Belgien. Der Schmerz um die 22 Kinder verbindet uns. Egal, ob wir selber Kinder haben, wie Eveline Widmer-Schlumpf, oder keine, wie der belgische Premierminister Elio Di Rupo, der leicht zusammengekauert neben ihr sitzt.
Di Rupo reiste mit den Eltern der 22 toten Kinder von Heverlee und Lommel in die Schweiz. Er hörte ihr Weinen im Flugzeug, er begleitete sie in ihrer Angst und Ungewissheit. Ist mein Kind bei den Toten oder den Verletzten? Es sind Fragen, die aufzuschreiben man schon zögert. Es sind Gedanken, die man nicht denken will.
«Il n'y a pas de mots», sagt Elio Di Rupo, der Sohn italienischer Gastarbeiter, der Premier seines Gastlandes wurde: «Wenn man eine erwachsene Person verliert, die uns nahesteht, ist es ein Drama, wenn man ein Kind verliert, findet man keine Worte.»
6 Erwachsene und 22 Kinder im Alter von 12 Jahren sind im Tunnel der A9 bei Siders in einem belgischen Car ums Leben gekommen. 24 Kinder sind verletzt, drei schweben noch in Lebensgefahr. Wir haben alle schon viele Polizeimeldungen gelesen, haben alle schon von vielen Toten gehört, die überall auf der Welt sterben.
Auch die über 200 Retter im Todestunnel haben schon vieles gesehen. Aber dieser Einsatz war anders. Sie werden ihn nie mehr vergessen. «Weil es Kinder sind», sagt Di Rupo. Und Doktor Jean-Pierre Dèslarzes, der Chef des Rettungsdienstes, bestätigt es in seinen Worten: «Wir sind im Wallis vieles gewohnt. Unglücksfälle und Dramen sind Teil unserer Lebenswelt hier in den Bergen. Aber diese Nacht war anders. Der Anblick der Kinder hat sie traumatisiert.»
Viele Retter weinten hemmungslos, als sie die zertrümmerten Körper sahen. Es nützte nichts, ob sie angegurtet waren oder nicht. «Die Sessel flogen einfach so durch die Luft», sagt ein Mädchen, das überlebt hatte, ihrem Papa. «Es war eine apokalyptische Situation», sagt auch Kommandant Christian Varone.
«Il n'y pas de mots.» Was auch immer wir schreiben, wir können es nicht beschreiben. Es bleibt die Ahnung. Vom Leid der Eltern. Und eine grosse Frage: Wo war Gott, als der Car durch diesen Tunnel fuhr?
*Autor Werner de Schepper ist selber Vater von zwei Kindern.