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Iran

Die iranische Religionspolizei prügelt eine junge Frau zu Tode – das Regime verliert die Jugend

Aus Sicht der Sittenwächter hatte die 22-Jährige ihr Kopftuch nicht richtig an. Sie starb in Polizeigewahrsam. Die junge iranische Bevölkerung sieht derweil kaum mehr eine Perspektive für sich im Land – und zeigt ihren Unmut auf der Strasse.

Iranische Frauen laufen in der Hauptstadt Teheran an einem Geistlichen vorbei. Nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini brechen Proteste gegen die Sittenwächter im Land aus.
Bild: Abedin Taherkenareh / EPA

Die 22-jährige Mahsa Amini starb nach ihrer Festnahme durch die Sittenwächter in Teheran, die ihr einen Verstoss gegen den Kopftuch-Zwang für Frauen in der Islamischen Republik vorwarfen. Die Führung versucht, Aminis Tod als Folge von Herzversagen herunterzuspielen, doch Präsident Ebrahim Raisi ist offenbar beunruhigt: Er ordnete noch während einer Auslandsreise eine Untersuchung an.

Nach dem Vorfall gingen Demonstranten in mehreren Städten am Wochenende gegen das theokratische Regime auf die Strasse. Der Fall zeigt das Ausmass der Entfremdung zwischen dem Regime und der jungen Bevölkerung des Landes, die sich gegängelt fühlt und keine Perspektiven für ihre Zukunft sieht.

Aggressive Durchsetzung

Islamische Hardliner versuchen seit Jahren, die Kopftuch-Pflicht durchzusetzen, treffen aber auf Widerstand. Frauen im Iran müssen seit der Revolution von 1979 in der Öffentlichkeit ihr Haar mit einem Tuch verhüllen. Viele legen nur ein lockeres Tuch um, das ihr Haar grösstenteils frei lässt.

Seit Protesten gegen das Kopftuch vor fünf Jahren und besonders seit dem Amtsantritt des Hardliners Ebrahim Raisi im vergangenen Jahr setzt die Religionspolizei den Kopftuchzwang häufiger mit aggressiven Mitteln durch. Regimegegner riefen die Frauen in den vergangenen Monaten auf, ihr Kopftuch in der Öffentlichkeit abzulegen.

Seit Präsident Ebrahim Raisi sein Amt antrat, setzt die Religionspolizei den Kopftuchzwang für Frauen oft aggressiven Mitteln durch.
Bild: Vahid Salemi / AP

Auch Mahsa Amini trug lediglich ein lockeres Kopftuch, wie Fotos von ihr in den sozialen Medien zeigten. Ob sie die strenge Form des Kopftuchs aus politischen Gründen ablehnte, ist nicht bekannt. Die junge Frau lebte in Saqez im west-iranischen Kurdengebiet und war mit ihren Eltern zu Besuch in Teheran, als sie am vorigen Dienstag von der Religionspolizei festgenommen wurde. Die Sittenwächter hätten die 22-jährige zwingen wollen, ihr Haar nach den Regeln der Islamischen Republik ganz zu verhüllen, erklärte Amnesty International.

Proteste gegen die Führung

Die Religionspolizisten nahmen Amini fest und verprügelten sie in einem Bus, wie mehrere Medien unter Berufung auf Augenzeugen meldeten. Die junge Frau fiel ins Koma und starb drei Tage nach ihrer Festnahme in einem Krankenhaus.

Die Behörden erklärten den Tod mit einem Herzinfarkt, doch ihre Familie erklärte, sie habe keine Herzerkrankungen gehabt. Iran International, ein Medium der Exil-Opposition, berichtete unter Berufung auf Krankenhauskreise, Amini habe schwere Kopfverletzungen durch Schläge erlitten. Sie sei bereits bei Einlieferung in die Klinik hirntot gewesen.

Proteste in Downtown-Teheran nach dem Tod der 22-Jährigen.
Bild: AP

Hunderte Menschen nahmen an Aminis Beisetzung am Samstag in Saqez teil und riefen Parolen gegen das Regime. Frauen zogen sich als Zeichen des Protests das Kopftuch aus, wie die britische BBC meldete. Die Polizei habe in die Menge geschossen. Am Sonntagabend feuerten Polizisten Tränengas auf Demonstranten in Sanandaj, der Hauptstadt der iranischen Provinz Kurdistan.

Auch vor dem Krankenhaus in Teheran, in dem Amini starb, gab es Proteste gegen die Führung der Islamischen Republik. Am Sonntag gingen Studenten der Teheraner Universität auf die Strasse, wie Aktivisten berichteten. Prominente iranische Künstler und Sportler verdammten das Vorgehen der Religionspolizei. Die Behörden drosselten das Internet, um die Verbreitung von Videos und Demonstrationsaufrufen zu erschweren.

Keine unmittelbare Gefahr für das Regime

Die Proteste stellen keine unmittelbare Gefahr für Raisis Regierung dar: Die Führung der Islamischen Republik konnte in den vergangenen Jahren wesentlich grössere Unruhen niederschlagen; dabei wurden Hunderte Demonstranten getötet.

Die Proteste, hier in Teheran, stellen keine grössere Gefahr für das Regime dar.
Bild: AP

Raisis Entscheidung, von einem Besuch in Usbekistan aus eine sofortige Untersuchung von Aminis Tod anzuordnen, zeigt aber, dass die Regierung besorgt ist. Allerdings ist unklar, ob Raisi eine ehrliche Untersuchung will oder das Ziel verfolgt, die Öffentlichkeit zu beruhigen, ohne die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Im Iran ist mehr als jeder zweite Bürger jünger als 30 Jahre und hat daher kein anderes Regierungssystem erlebt als die Islamische Republik. Die Islamisierung des Landes seit der Revolution vor mehr als 40 Jahren hat die meisten jungen Iraner aber nicht zu Anhängern des Regimes gemacht, im Gegenteil: Viele von ihnen sind nach Einschätzung von Experten wegen Korruption und Wirtschaftskrise desillusioniert und wollen das Land verlassen. Zwischen dem Regime und vielen jungen Iranern klaffe ein breiter Graben, meint Lena Loch von der Denkfabrik Friends of Europe, die von der EU mitgegründet wurde.