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ST.GALLEN SYMPOSIUM

Die Energiewende als Geschäft? «Auf einem toten Planeten kann man keine Geschäfte machen», sagt die afrikanische Aktivistin 

Der Klimawandel ist ein gutes Geschäft, sind sich E.On-Chef Leonhard Birnbaum und der Wasserstoff-Unternehmer Marco Alverà sicher. Die ugandische Klimaaktivistin Vanessa Nakate machte derweil klar: Es geht nicht ums Geschäft, sondern um Menschen. Denn die Ärmsten spüren den Klimawandel schon lange. 

Das Podium zum Thema geopolitische Disruption und Energiewende mit Moderator Ryan Chilcote (v. l.), Leonhard Birnbaum, Vanessa Nakate und Marco Alverà.
Bild: Bild: Ralph Ribi/St. Galler Tagblatt

Wie wichtig Energie für das Funktionieren der modernen Welt ist, wurde im Verlauf des vergangenen Jahres wohl so klar wie nie. «Jedes Unternehmen muss heute ein Energieunternehmen sein», sagte deshalb Marco Alverà auf dem Podium zu Geopolitik und Energiewende am St.Gallen Symposium. Der Italiener ist CEO der TES-H2, eines Unternehmens, das die Wirtschaft mit grünem Wasserstoff versorgen will, einer Technologie, die in den letzten Monaten mehr Aufmerksamkeit bekommt – schliesslich könnte H 2 manchen Treibstoff ersetzen.

Der Grund für die Aufmerksamkeit ist tragisch: Die russische Invasion in die Ukraine hat gerade den europäischen Energiemarkt durcheinandergebracht, wo man lange auf russisches Öl und Gas vertraute. Hierzulande hat das zu einem Boom bei Solaranlagen und Wärmepumpen geführt. Trotzdem sind sich die Vertreter der Energiebranche nicht sicher, ob der Krieg die Energiewende wirklich beschleunige. Kurzfristig sei er sicher schlecht, sagt Alverà. «Kohle hat wieder zugelegt», sagt er. «Dabei hatten wir Glück mit einem warmen Winter.» Langfristig ist er aber optimistischer. Denn im Vergleich seien erneuerbare Energien wirtschaftlicher geworden.

Die Ukraine angeschlossen

Leonhard Birnbaum, CEO des deutschen Energiekonzerns E.On.
Bild: Bild: Ralph Ribi/St. Galler Tagblatt

Doch Leonhard Birnbaum, CEO des deutschen Energieinfrastruktur-Riesen E.On, ist auch für die längere Frist pessimistischer. «Wegen der gestiegenen Preise fehlt den Leuten das Geld für Investitionen in die Energiewende», fürchtet er. Doch auch er sieht Lichtblicke. So habe man die Anstrengungen beschleunigt, die Ukraine ans europäische Netz zu koppeln. Noch schicke man zwar nur altes Gerät dorthin, «und wir hoffen, dass es möglichst lange überlebt». Doch das sei die Voraussetzung dafür, dass die Energiewende auch in der Ukraine Einzug halten kann, sagte Birnbaum. «Denn sie hat beste Voraussetzungen.»

Denn für beide ist klar: «Die Energiewende wird kommen, denn sie ist ein gutes Geschäft», wie es Alverà formulierte. «Es könnte aber zehn Jahre zu lange gehen.» Deshalb setze er darauf, die Solaranlagen dort zu bauen, wo die Sonne scheint, und zwar in grossen Mengen. In Afrika zum Beispiel – um dann daraus günstigen, grünen Wasserstoff zu produzieren, den man nach Europa pumpen könnte.

Gegen grünen Kolonialismus

Die ugandische Klimaaktivistin Vanessa Nakate.
Bild: Bild: Ralph Ribi/St. Galler Tagblatt

Einer der Momente, in denen Vanessa Nakate, die ugandische Klimaaktivistin, als Spielverderberin auftrat. «Grüner Kolonialismus darf nicht die Lösung sein», redete sie den anderen beiden ins Gewissen. «Südlich der Sahara haben 600 Millionen Menschen gar keinen Strom.» Meist dieselben Menschen, die direkt unter dem Raubbau an natürlichen Ressourcen litten – ob es sich dabei um Öl oder um Rohstoffe für Solaranlagen handle. Sie seien es auch, «die den Klimawandel schon heute an vorderster Front miterleben», weil das Land sie nicht mehr ernähren kann. Bei der Energiewende gehe es nicht ums Geschäft, sondern um den Planeten und die Menschen, die auf ihm leben. «Denn auf einem toten Planeten kann man keine Geschäfte machen.» Immer wieder erntete sie Applaus.

Nur, die Welt retten ist gar nicht so einfach, sagte Birnbaum. Um die Energiewende zu schaffen, müsste die Netzinfrastruktur ausgebaut werden – massiv. Doch dafür seien zu viele Bewilligungen zu holen, zu viel Einsprachen zu behandeln. «Wir müssen die Welt retten, aber ich kann nicht mal das Stromnetz in Bayern ausbauen.»