Personenfreizügigkeit hin oder her: Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser will stationäre Grenzkontrollen für die Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz anmelden. So, wie es sie seit 2015 an der Grenze zu Österreich gibt. Das Bundesinnenministerium bereitet ein entsprechendes Schreiben an die EU-Kommission vor.
In einer Mitteilung verwies Faeser auf einen Verkehrsunfall in Bayern, bei dem sieben von einem Schlepper geschmuggelte Personen ums Leben kamen: «Es ist jetzt notwendig, alle möglichen Massnahmen zu treffen, um dieses grausame Geschäft mit dem Leben von Menschen zu stoppen.» Die Überlegung dahinter: Wären die Asylsuchenden nicht über die Grenze gekommen, wären sie beim Unfall nicht gestorben. Ein anderer Grund dürfte freilich ebenso, wenn nicht viel mehr zum Entscheid beigetragen haben: «Zugleich brauchen wir eine wirksame Begrenzung der irregulären Migration, um unsere Kommunen zu entlasten.»
Faesers Schritt lässt sich allerdings auch als Misstrauensvotum gegenüber den europäischen Nachbarstaaten lesen: dass diese das Dublin-Abkommen nicht korrekt anwenden und Migrantinnen und Migranten nach Deutschland weiterreisen lassen, statt selbst ein Asylverfahren einzuleiten, wie es Dublin vorsieht.
Schleuser können an der Grenze einfacher gefunden werden
Mit den Grenzkontrollen beabsichtigt Deutschland nun, Schlepper an der Grenze zu stoppen und die Migrantinnen und Migranten direkt wieder über die Grenze in die Schweiz und die anderen Nachbarstaaten zurückzuschicken. Faesers Ministerium räumt ein, je nach Kontrolldichte könne dies Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Verkehr haben.
Wie das Staatssekretariat für Migration (SEM) auf Anfrage mitteilt, hat Bern bereits auf die angekündigte Massnahme reagiert. Demnach hat Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider noch gleichentags mit Faeser telefoniert. Die beiden Ministerinnen hätten sich darauf verständigt, die Zusammenarbeit gemäss einem Ende 2022 vereinbarten Aktionsplan zur Eindämmung der Sekundärmigration – also der Migration innerhalb Europas – fortzuführen. Dieser sieht gemeinsame Patrouillen und einen verstärkten Informationsaustausch vor. Diese Zusammenarbeit solle nun in enger Abstimmung zwischen den Grenzbehörden der beiden Länder «weiter intensiviert» werden.
Bundesrätin Baume-Schneider erinnerte ihre Amtskollegin gemäss Mitteilung des SEM «an die enge Verflechtung der Grenzregionen». Faeser habe in dem Telefongespräch zugesichert, die Kontrollen punktuell und verhältnismässig durchzuführen, um den Alltag von Pendlern, den Handel und den Reiseverkehr so wenig wie möglich zu beeinträchtigen. In diplomatischen Floskeln bekräftigen die beiden Ministerinnen gemäss Stellungnahme «ihren Willen, die konstruktive und erfolgreiche Zusammenarbeit gegen die Sekundärmigration und die Schleusertätigkeit fortzusetzen».
Die Formulierungen zielen offensichtlich darauf ab, dass sich Faesers innenpolitisch motiviertes Manöver nicht zu einem freundnachbarlichen Streit auswächst. Tatsächlich teilten die beiden Ministerinnen aber noch im Dezember bei der Lancierung des Aktionsplans mit, sie wollten «schwerwiegende Massnahmen wie die vorübergehende Wiedereinführung von Grenzkontrollen vermeiden». Diesen Vorsatz hat Deutschland nun über Bord geworfen.
