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GASPREISE

«Deutscher Egoismus»: Scholzs 200-Milliarden-«Doppelwumms» sorgt für Zoff in Europa

Bundeskanzler Olaf Scholz wird von anderen EU-Staaten massiv kritisiert. Der Vorwurf: Das deutsche 200 Milliarden-Hilfspaket sei unsolidarisch und egoistisch.

Wie man «Doppelwumms» auf Italienisch übersetzt, ist nicht bekannt. Klar ist aber: Roms scheidender Ministerpräsident Mario Draghi hat sehr wohl verstanden, um was es bei der deutschen Wortschöpfung geht. Und er hat überhaupt keine Freude daran. Europa dürfe sich nicht spalten lassen, «wir brauchen Solidarität» mahnte Draghi kürzlich. Seine baldige Nachfolgerin Giorgia Meloni, die ohnehin ein Problem mit Deutschland hat, dürfte ihre Worte kaum so bedacht wählen.

Was ist das Problem? Das 200 Milliarden Euro schwere Hilfspaket zur Linderung der hohen Gaspreise in Deutschland bringt Europas Wirtschaft durcheinander. Ausser den Deutschen kann sich eine solch massive Unterstützung für Industrie und Haushalte nämlich niemand leisten. Der gemeinsame EU-Binnenmarkt werde verzerrt, warnt auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Das heisst, die Deutschen kaufen sich Wettbewerbsvorteile auf Kosten von Rest-Europa.

In Griechenland drucken sie wieder Schmäh-Sujets gegen Deutschland

Klartext spricht Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Nicht weniger als «deutscher Egoismus» sei das, klagte Morawiecki am Freitag am Rande des EU-Gipfels in Prag. Er appellierte an Bundeskanzler Scholz, die Sache nochmals zu überdenken. Die finnische Premierministerin Sanna Marin sprach von einer Kettenreaktion, wo die «grossen Länder mit mehr Handelsspielraum die anderen ausstechen». In Griechenland drucken manche Zeitungen derweil schon Titelblätter mit deutsch-eingefärbten Mittelfingern, die an die Hochzeit der Finanzkrise erinnern.

Die Stimmung in Europa heizt sich allmählich auf. Bundeskanzler Scholz aber lässt sich davon nicht beirren. «Wir bewegen uns im Rahmen dessen, was auch andere machen», verteidigte er am Freitag sein Hilfspaket gegenüber Journalisten. Konkret zeigte er auf Frankreich, wo Präsident Macron den Strompreis künstlich niedrig hält. Und dafür etliche Milliarden ausgibt. Aber auch Italien hat gemäss Scholz mit seinen Hilfen bereits das gemacht, was Deutschland nun selbst mache.

Nur: Die grosse Mehrheit der EU-Länder wollen keine nationalen, sondern eben eine europäische Lösung. Dass sich ausgerechnet Deutschland dagegen sperrt, stösst bei vielen auf Unverständnis. Ausgerechnet Deutschland, das gerne anderen Ländern Lektionen in Solidarität erteilt. Ausgerechnet Deutschland, das mit seiner selbstverschuldeten Gasabhängigkeit von Russland die gegenwärtige Kostenexplosion mitverantwortet. So die Stimmung.

Haben grosse Probleme zu lösen: Bundeskanzler Olaf Scholz, der niederländische Premier Mark Rutte und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beim EU-Gipfel in Prag. 
Bild: Keystone

Scholz will kein Preisdeckel - Deutschland kann es sich leisten

Entzünden tut sich der Ärger auch an der deutschen Weigerung, Hand zu einem europaweiten Gas-Preisdeckel zu bieten. Wobei Scholz nicht ganz allein ist: Auch Luxemburg, die Niederlande oder Dänemark lehnen einen solch drastischen Eingriff in den Markt ab. Sie teilen Berlins Argument, dass Lieferanten wie Katar ihr Gas einfach jemanden anders verkaufen könnten, wenn Europa nicht mehr die astronomisch hohen Preise zu zahlen bereit ist. Wie gross die Gefahr für die Versorgungssicherheit tatsächlich ist, kann aber niemand voraussagen. Preisdeckel-Befürworter sind sicher, Europa werde gegenüber anderen Weltregionen als Kunde auch so noch attraktiv bleiben.

Erwartet wird nun, dass spätestens beim nächsten EU-Gipfel am 20. und 21. Oktober Lösungen auf dem Tisch liegen. Der Druck auf die EU-Kommission von Präsidentin von der Leyen ist enorm. Hinter verschlossenen Türen soll Draghi der Kommissionschefin in überdeutlichen Worten vorgeworfen haben, dass sie seit sieben Monaten der aufziehenden Krise zuschaue.

Immer stärker wird auch der Ruf nach einer Neuauflage von gemeinsamen Schulden, wie es die EU schon bei Corona getan hat. Im Grunde befinde man sich heute in derselben Situation, soll Draghi gesagt haben. Für Scholz kommt das aber nicht infrage. Vom Corona-Hilfspaket sei erst rund ein Fünftel ausbezahlt. 600 Milliarden stünden noch zur Verfügung, so Scholz.