Matthias Scharrer
Herr Assfalg, beim Googlen im Internet habe ich gelesen, dass Sie Bob-Dylan-Fan sind. Stimmt das?
Markus Assfalg: Ja. Ich spiele selber Gitarre, vor allem Dylan-Songs.
Im Dylan-Klassiker «The Times They Are A-Changing» heisst es: «Fang besser an zu schwimmen, sonst sinkst du wie ein Stein.» Schwimmt der Standort Zürich angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise - oder sinkt er?
Assfalg: Er schwimmt gut mit. Allerdings wird er seine Muskeln jetzt mehr trainieren müssen. Aber er hat eine gute Balance zwischen Sich-Treiben-Lassen und Schwimmen, um im Bild zu bleiben. «Things Have Changed» - ein anderer Dylan-Titel - trifft vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise eher zu.
Was hat sich vor allem geändert?
Assfalg: Die Vertrauensfrage an den Finanzplatz in Sachen Führung ist gestellt. Da wird man umdenken müssen. Die öffentliche Hand, die aufgerufen ist, Staatshilfe zu leisten, erlebt einen Vertrauenszuwachs. Es wird in der Finanzindustrie nicht mehr so hohe Margen geben. Aber Zürich als Kanton ist immer noch gut positioniert. Wir werden die Finanzindustrie weiterhin brauchen, und unser Finanzcluster sorgt für unterstützende Vernetzung.
Die Finanzindustrie gilt für Zürich auch als Klumpenrisiko. Droht effektiv Gefahr?
Assfalg: Es ist nie gut, wenn man Klumpenrisiken hat. Doch ich sehe den Bankenplatz Zürich nicht als Klumpenrisiko, weil wir andere Branchen haben, die hervorragend funktionieren. Die Standortförderung setzt auf verschiedene Cluster. Zum Finanzcluster gehören zum Beispiel auch Treuhandbüros, Wirtschaftsanwalts-Kanzleien oder die Wechselstube im Hauptbahnhof. Er ist also in sich schon sehr differenziert, was das Klumpenrisiko minimiert. Andere Cluster, wie etwa Life Sciences, generieren Wachstum in Zürich. Der Cluster Kreativwirtschaft umfasst rund 53 000 Arbeitsplätze im Raum Zürich - Designer, Architekten, Künstler. Weiter bauen wir seit acht Monaten einen neuen Cluster auf: Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT), ebenfalls eine Wachstumsbranche. Google hat sich zum Beispiel in Zürich angesiedelt - ein «sexy» Unternehmen, das einen Informationsfokus in die Wirtschaft bringt. Wobei auch Google mal in eine Krise geraten kann. Zurzeit klären wir ab, ob ein Greentechcluster - Umwelttechnologie - Chancen auf Erfolg hat. Die Stadt Zürich hat ja die Initiative für den Wandel zur 2000-Watt-Gesellschaft angenommen. Zwar gibt es hier keine Auto- und Solarindustrie. Doch Zürich hat mit der ETH und der EAWAG zwei weltweit führende Forschungsinstitutionen im Bereich Nachhaltigkeit und Wasser. Nach meiner Einschätzung wird das allerdings nicht für einen Boom-Cluster reichen.
Es gibt also neben dem Finanzcluster noch andere wichtige Wirtschaftsbereiche auf dem Platz Zürich. Aber können die von der Grösse her wirklich Vergleichbares bieten wie das Bankenwesen?
Assfalg: Nehmen wir einmal an - als Worst-Case-Szenario, das meines Erachtens aber nicht eintritt - die Finanzbranche bräche ganz weg; dann kann das Wohlstandsniveau nicht auf dem gleichen Stand erhalten bleiben. Wir müssten den Gürtel enger schnallen. Aber Zürich als Wirtschaftsstandort würde überleben. Ich glaube an die Innovationskraft und den Erfindergeist von Unternehmen. Gegenfrage: Was ist Ihre Hypothese?
Arbeitsplätze brachte 2008 vor allem die IT-Branche
Zürich ist nach wie vor Bankenplatz: Von den schweizweit 211 000 Beschäftigten im Finanzsektor arbeiten 40 Prozent im Kanton, davon 70 Prozent in
der Stadt Zürich. Allerdings verschieben sich die Gewichte: Von den total 916 Arbeitsplätzen, die 2008 im Kanton Zürich durch die Standortförderung neu angesiedelt wurden, gehören nur 17 zum Finanzbereich. Der Grossteil entfällt mit 303 auf Informatik, Informations- und Kommunikationstechnologie. Vor allem der Ausbau bei Google sowie die Eröffnung des Microsoft-Entwicklungszentrums in Zürich fielen ins Gewicht. 203 neue Arbeitsplätze entstanden in der Medizinal- und Biotechnologie, 140 in Head Quarters, 5 in der Hightech-Industrie. 248 neue Arbeitsplätze fasst die Standortförderung unter «Diverse» zusammen. Wachstumsstärkste Branche am Standort Zürich sind die Life Sciences mit dem Biochtech-Center in Schlieren und jährlichen Wachstumsraten von über 4 Prozent. Ebenfalls stark ins Gewicht fällt die Kreativwirtschaft mit 53 000 Beschäftigten im Raum Zürich. Sie teilt sich primär auf in Design, Architektur, Medien und Game Design. Als eine der grossen Herausforderungen wird in einem Papier der Standortförderung die Neuorientierung des globalen Kapitalmarkts bezeichnet. (mts)
Hintergrund unseres Gesprächs ist der hängige Grossprozess gegen die UBS in den USA, wo es darum geht, massenweise Kundendaten offen zu legen - möglicherweise das Ende des Bankgeheimnisses, also des Geschäftsmodells, auf das der Bankenplatz Zürich gebaut hat. Angenommen, die UBS kollabiert: Was hiesse das für den Standort Zürich?
Assfalg: Das wäre nicht nur für Zürich, sondern für die ganze Schweiz volkswirtschaftlich eine Katastrophe. Ich vertrete den Standpunkt, dass die jetzt eingeleiteten Massnahmen die Situation stabilisieren. Der Mensch überlebt auch schwierige Situationen, die niemand will.
Mit welcher Strategie wollen Sie als Standortförderer diese schwierige Situation überwinden?
Assfalg: Wir unterstützen vor allem die Differenzierung der bestehenden Cluster und fokussieren auf neue Cluster, die im Kanton Zürich Potenzial haben.
Wie?
Assfalg: Zum Beispiel investieren wir Ressourcen, um das erwähnte neue ICT-Netzwerk zu verdichten. Im Finanzcluster pflegen wir weiterhin die bestehenden, gut funktionierenden Elemente und erweitern diese gezielt mit Blick auf ein Monitoring. In den Greentech-Bereich geben wir - im Rahmen dessen, was dort sinnvoll erscheint - ebenfalls Ressourcen. Mit der überkantonalen Standortmarketing-Organisation Greater Zurich Area werden wir wissenschaftliche Wirkungsindikatoren für Cluster, zum Beispiel Anzahl geschaffene Arbeitsplätze oder Patentanmeldungen, bei den Ansiedlungen gezielt zur Anwendung bringen. So können wir mit unseren bescheidenen Mitteln auf Arbeitsplätze und innovative Branchen fokussieren.
Welche Wirtschaftszweige haben am meisten Potenzial für den Standort Zürich?
Assfalg: Wissensgetriebene Dienstleistungen. Dort, wo man hochqualifizierte Menschen mit guter Allgemeinbildung braucht, ist am meisten Wertschöpfungspotenzial. Und das generiert auch Arbeitsplätze.
Wir brauchen also mehr Investitionen in die Bildung?
Assfalg: Ja, diese Diskussion läuft ja auch in Bezug auf die Maturandenquoten. Es wurde kritisiert, dass die Aufnahmeprüfungen fürs Gymnasium im Kanton Zürich zu streng sind. Die Diskussion geht dahin, dass die Schweiz etwa 25 Prozent Maturanden ohne Qualitätsverlust der akademischen Bildung vertragen würde.
Was heisst vertragen?
Assfalg: Ich bin nicht Bildungsspezialist.
Wenn Wissen am meisten Wertschöpfung bringt, muss das auch den Standortförderer beschäftigen.
Assfalg: Wir brauchen attraktive Bildungsinstitutionen, wie wir sie mit Universität und ETH haben. Wir haben zudem Fachhochschulen mit einem guten Rating innerhalb des dualen Bildungssystems. Es braucht einen guten Mix. Wir werden aber auch auf Menschen angewiesen sein, die nicht im hochqualifizierten Bereich tätig sind. Sonst funktioniert die Gesellschaft nicht.
Was ist ein guter Mix?
Assfalg: Ein Indikator sind die Arbeitslosenzahlen. Wenn in einem funktionierenden Markt die Menschen gut beschäftigt sind, ist der richtige Mix da. Bis jetzt war es so. Jetzt erleben wir eine Krisensituation, die die Arbeitslosigkeit herauftreibt.
Hat die Krise bei der Standortförderung zu einem Umdenken geführt?
Assfalg: Die Diversifikations-Strategie, verschiedene Branchen zu fördern, wurde verstärkt beziehungsweise beschleunigt.
Was für Widerstände gegen den Wandel sehen Sie?
Assfalg: Man hat sich durch den hohen Lebensstandard in Sicherheit gewiegt und geglaubt, es würde ewig so bleiben. Dieser Glaube wird jetzt massiv erschüttert.
Der Stadtzürcher Finanzvorstand Martin Vollenwyder - früher selbst Banker - hat gesagt, es sei blauäugig, zu glauben, man könne das, was das Bankenwesen leistet, durch andere Branchen ersetzen. Ist das festgefahrenes oder schlicht realistisches Denken?
Assfalg: Für Zürich ist der Bankenplatz enorm wichtig. Von daher denke ich auch: Es gibt keine Alternative. Finanzen sind die Basis für Innovationen. Wenn innovative Menschen Ideen haben, brauchen sie Kapital. In einer gut funktionierenden Wirtschaft braucht es einen Finanzplatz.