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Der Schweizmacher

Wochenkommentar zum Rücktritt von Roger Federer - und den Sehnsüchten, die sich in ihm spiegeln.

Wurde je ein Sportler, Politiker oder Wirtschaftsführer mit derartigen Elogen verabschiedet wie Roger Federer nach seiner Rücktrittsankündigung? Würdigungen, wie man sie rund um den Globus lesen konnte - eine der leidenschaftlichsten erschien in der «New York Times» -, sind kaum je einem Menschen, der noch lebt, zuteil geworden. Wenn Federer Zeit hat, alles zu lesen, wird es ihm vielleicht fast unheimlich werden. So viel Wohlwollen begegnet man sonst nur in Nachrufen.

Wer jetzt glaubt, hier werde zu einer Gegenrede angesetzt, der irrt, und die Prognose sei gewagt, dass nicht einmal die «Weltwoche» dies tun wird, deren Geschäftsmodell die Antithese ist. Dafür fehlt jegliche Grundlage. Federer hat das Tennis, so formulierte es unser Sportredaktor Simon Häring, in diesem Jahrtausend stärker geprägt als jeder andere, er ist eine Ikone der Sportgeschichte.

Doch sein Wesen und Wirken gehen darüber hinaus. In der Art und Weise, wie die Schweiz damit umgegangen ist, kristallisiert sich auch ein Bild seines Heimatlandes heraus, das vieles aussagt.

Erstens im Verhältnis nach aussen. Die Ära Roger Federer fällt in eine Phase, in der die Schweiz auf Identitätssuche war. 2001 gewann Federer sein erstes Turnier (in Mailand), im selben Jahr verlor die Schweiz mit der Swissair ihr nationales Symbol. Zugleich begann die Epoche der bilateralen Verträge mit der EU, deren Ausgestaltung, Weiterentwicklung oder Beendigung seither ein dominierendes Thema der Schweizer Politik sind. Während wir mit unseren Aussenministern und Diplomaten haderten, und letztlich mit uns selber, konnten wir immer auf einen Botschafter zählen, der alle politischen Knorze und Peinlichkeiten überstrahlte. Roger Federers Erfolge und seine Eleganz auf den Tennisplätzen dieser Welt waren für das Image der Schweiz von unschätzbarem Wert.

Und wie ihr Land im Ausland wahrgenommen wird, das ist den Schweizerinnen und Schweizern unheimlich wichtig. Schriftsteller Thomas Hürlimann, der von Berlin zurück nach Zug zog, erzählte kürzlich, wie er in Deutschland stets das Bedürfnis verspürte, die Schweiz gegen Kritik zu verteidigen. So geht es vielen. Roger Federer machte es uns da leicht. Nie gab es bei ihm etwas zu verteidigen, wir konnten überall hinreisen und bekamen, sobald der Name fiel, ein bisschen was ab von seinem Glanz. Ein Fall von passiver Aneignung.

Die Reduktion auf das Aussenbild wäre aber zu einfach. Es geht, zweitens, auch um unser Selbstbild. Die Schweiz versteht sich als Leistungsgesellschaft, und trotz schrittweiser Sozialdemokratisierung gilt hier noch immer: Jeder ist seines Glückes Schmied. Kapitalismus also, aber bitte mit Wärme und Menschlichkeit. Ein Widerspruch, den Federer aufzulösen vermag.

Seine Siege und seine Millionen sind die Geschichte eines Aufstiegs, der nicht nur mit Leichtigkeit geschah, sondern auch erkämpft wurde, mit Schmerz und Tränen, Rückschlägen und Verletzungen, die ihn menschlich machten, ebenso wie seine Selbstzweifel, die ihn zwischendurch befielen. Darum griff bei ihm auch die Neidkultur nicht. Dass Federer mit seinem Geld auch Gutes tut, Stiftungen gegründet hat, ist dafür nicht mal wesentlich. Er hat uns einfach immer ein gutes Gefühl gegeben, und wenn wir ihn mit seiner Familie sahen, umso mehr: Weil er Leistung und Menschlichkeit vereint.

Dass Federer für die Sehnsüchte eines ganzen Landes steht, hat mit dem zu tun, was er tut - und mit dem, was er lässt. Obwohl seine Karriere in die Zeit fiel, wo das Internet, das Smartphone und die sozialen Medien aufkamen, wurde er nie zum Narzissten. Er verstand sich immer als Tennisspieler, nicht als Influencer. Er äusserte sich nicht politisch - und gehörte deshalb allen.

Roger Federer ist wohl klug genug, auch in seiner nächsten Lebensphase, als Unternehmer, an diesen Prinzipien festzuhalten. Wenig spricht dagegen, dass er nach seiner aktiven Karriere eine helvetische Identifikationsfigur bleiben wird.