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Urban Gardening

Der mit den Pflanzen spricht: Wie ein Biologieprofessor die Städte grüner machen will

Matthias Erb erforscht die Pflanzenwelt und will mit ihr nun auch ein Geschäft machen. Mit seinem Jungunternehmen Boum setzt er auf den Urban-Gardening-Trend.
Biologieprofessor und Jungunternehmer Matthias Erb glaubt an die Macht der Pflanzen.
Bild: zvg

Wenn Matthias Erb über Pflanzen spricht, kann er kaum mehr aufhören. Pflanzen sind für den Biologieprofessor und Jungunternehmer letztlich der Schlüssel für eine bessere, hoffnungsvollere Welt. «Mit Pflanzen geht es uns besser», sagt Erb, «als Individuen und auch als Gesellschaft».

Als Wissenschafter kann Erb, der am Imperial College London, an der Universität Neuenburg und am Max Planck Institut für Chemische Ökologie in Jena studiert, promoviert und geforscht hat und seit 2014 eine Professur an der Universität Bern innehat, seine Aussagen mit zig Studien untermauern. Etwa mit einer aus England, die nachweist, dass Menschen in der Nähe von Pflanzen ein messbar tieferes Stresslevel haben. Als Unternehmer will er erstens dieses Wissen nutzen, will mit Pflanzen gegen die grassierenden Zukunftsängste ankämpfen, die etwa jährlich mit dem Hoffnungsbarometer an der Universität St.Gallen erhoben werden. Und er will zweitens ein florierendes Geschäft aufbauen.

Ende 2021 hat der heute 43-jährige Erb gemeinsam mit dem ETH-Geophysiker Ludwig Auer sein Unternehmen ins Leben gerufen mit dem bewusst mehrdeutigen Namen Boum. Berndeutsch ausgesprochen ist es ein Baum, englisch ein explosionsartiges Wachstum und französisch ein Fest. Die Aktienmehrheit ist noch immer bei den beiden Gründern, doch seit den Anfängen sind weitere Investoren aus «dem Berner und Zürcher Start-up-Investment-Ökosystem» hinzugekommen, wie Erb anfügt. Diese bleiben aber im Hintergrund.

Im Boum-Angebot steht ein «weltweit einzigartiges» Pflanzenpflegesystem, wie es der Biologe nennt. Dieses besteht aus einem mit Solarpanel und Sensortechnik ausgestatteten Wassertank, bis zu 20 mit einem dünnen Schlauch verbundenen Planzentöpfen – sowie einer App, auf der etwa ersichtlich wird, wann der Wassertank wieder aufgefüllt werden müsste und wann welche Pflanze etwas Dünger begehrt. Hinzu kommt eine nach eigenem Rezept entwickelte Erde, ein spezieller Dünger sowie Pflanzensetzlinge. Kunden können freilich auch eine andere Erde und eigene Pflanzen in die Töpfe einfüllen.

Der Wasserverbrauch sinkt um 40 Prozent

Dieses Jahr will Boum beim Umsatz die Millionen-Grenze überschreiten. Gewinn schreibt das Jungunternehmen noch keinen. Sein Kundenstamm ist auf über 1000 Haushalte angewachsen. Mehrheitlich handelt es sich dabei um 35- bis 65-jährige Deutschschweizer Privatpersonen, die im urbanen oder suburbanen Raum leben und erwerbstätig sind, weshalb sie für ihren bepflanzten Balkon nicht allzu viel Zeit haben. Wie etwa Fechtmeister Max Heinzer, der 19-facher EM- und WM-Medaillengewinner. Weil er für seinen Sport dauernd unterwegs ist, wurde er Kunde bei Boum. Nun wird er der erste Botschafter des Unternehmens.

Günstig ist der Pflanzenspass nicht, ein Einsteigerset inklusive Erde und Pflanzen gibt es für knapp 400 Franken, mit jedem zusätzlichen Topf kommen weitere Kosten von 100 bis 200 Franken hinzu. Im Gegenzug muss man nichts weiter tun, als den Wassertank alle zwei oder drei Wochen zu füllen, wie Erb betont. «Alles funktioniert von allein, es braucht dank des Solarpanels keine Anschlüsse.» Zudem sinke der Wasserverbrauch um 40 Prozent, weil weniger verschüttet werde oder verdunste, verspricht Erb. Und die Tomatenernte falle deutlich grösser aus.

Das von Erb und seinen mittlerweile sechs Mitstreitern entwickelte und vermarktete System gibt es vorerst im eigenen Online-Shop, in zwei Gartencenter – Zulauf im Aargau und Rusterholz im Kanton Zürich – sowie beim Migros-Onlinewarenhaus Galaxus. Doch Erb will mehr, sein «skalierbares» Boum-System soll bald «überall» in der Schweiz angeboten werden, auch in Deutschland und Österreich. Spruchreif ist allerdings noch nichts. Ebenso wenig wie die «grosse Überbauung», mit der er im Gespräch ist. Bei der soll das Boum-Konzept inklusive Regenwasser-Tank von Anfang an mit eingebaut werden. Die Menschen könnten dann einziehen und müssten dann nur noch entscheiden, welche Bäume, Blumen, Gemüsesorten oder Gewürze sie anpflanzen wollten.

Nur mit Pflanzen gewinne der urbane Wohnraum an Attraktivität, sagt Erb, der selbst im Berner Simmental aufgewachsen ist, auf einem Bauernhof in Adlemsried ob Boltigen. Diesen führt er als «Insel der Biodiversität» an den Wochenenden fort. Unter der Woche kümmert er sich um Boum und um seine Forschung zu biotischen Interaktionen, also der Wechselwirkung zwischen Lebewesen respektive Pflanzen. So würden etwa Pflanzen, die von Schädlingen befallen werden, Duftstoffe absondern, erzählt Erb. Das wiederum nähmen die Nachbarspflanzen wahr und würden dann als Reaktion schon mal ihr Abwehrdispositiv gegen besagte Schädlinge hochziehen.

Solche Geschichten sind es wohl, wieso Erb von seinen Wegbegleitern – frei nach dem Kevin-Costner-Western von 1990 – als «Der mit den Pflanzen spricht» genannt ist. «Wir sind getrieben von der Alltagshektik und von all den schlechten Nachrichten, die auf uns einprasseln», sagt Erb. «Wenn ich meinen Nektarinenbaum anschaue, dann schöpfe ich Hoffnung für die Zukunft.»

So viel Euphorie wird wohl nicht bei allen Kunden entstehen, aber vielleicht sind sie dann ein bisschen weniger gestresst.