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«Das zeugt nicht gerade von Rückgrat, Herr Graber!» Mitte zerlegt SVP in Energie-«Arena»

Savognin GR will keinen Solarpark neben der Skipiste. Darum leisteten sich SVP-Nationalrat Michael Graber und Mitte-Nationalrätin Priska Wismer-Felder in der Energiewende-«Arena» einen etwas wirren, aber unterhaltsamen Schlagabtausch. Mit einer klaren Gewinnerin.

Wir schreiben das Jahr 2224. Ganz Europa zieht seinen Strom aus Sonne, Wasser und Wind. Ganz Europa? Nein, ein von unbeugsamen Schweizerinnen und Schweizern bevölkertes Land hört nicht auf, sich mit Einsprachen gegen alpine Fotovoltaikanlagen und Windparks zu wehren!

Beim Thema Energiewende flogen zwischen Michael Graber und Priska Wismer-Felder die Fetzen.
Bild: Bild: Screenshot SRF (bearbeitet)

So wird man es in 200 Jahren in den Geschichtsbüchern lesen können. Zumindest, wenn es in der Schweiz weiterhin so zu und hergehen wird, wie in der letzten SRF-«Arena» zur Energiewende. «Jetzt sind wir an einem Niveau angelangt, auf dem ich nicht sein möchte», musste Moderator Sandro Brotz sogar mal dazwischenrufen, um seine Gäste zu beruhigen, die sich irgendwann gegenseitig unterstellten, keine Englischkenntnisse zu haben.

Auf dieses Niveau herab liessen sich in dieser «Arena»:

Michael Graber, SVP-Nationalrat Kanton Wallis

Christian Wasserfallen, FDP-Nationalrat Bern

Priska Wismer-Felder, Mitte-Nationalrätin Luzern

Gabriela Suter, SP-Nationalrätin Kanton Aargau

Ebenfalls im Studio:

Tanja Amacher, Geschäftsführerin Tourismus Savognin Bivio Albula AG Elias Vogt, Präsident Freie Landschaft Schweiz

Graber brockt es sich selbst ein

Den geschichtsträchtigsten Schlagabtausch liefern sich an diesem Abend SVP-Nationalrat Michael Graber und Mitte-Nationalrätin Priska Wismer-Felder.

Seinen Anfang nimmt er beim Thema Solarexpress. Die Gemeinde Savognin im Kanton Graubünden stimmte an ihrer Gemeindeversammlung gegen den Solarpark, der bei ihnen gebaut und 20’000 Haushalte mit Solarstrom hätte versorgen sollen.

Wismer-Felder findet: «Unser grösstes Problem ist, dass immer so emotional diskutiert wird.» Darum sei es so wichtig, dass man mit den Leuten in den betroffenen Gemeinden spreche, dass man aufkläre. «Und dass nicht die Ängste Übermacht nehmen, die sehr bewusst vor Ort geschürt werden.»

Was Wismer-Felder sagt, sitzt gar nicht richtig mit Graber. Also greift er für seinen Gegenangriff tief in die Metapher-Kiste. So tief, dass man zuerst gar nicht versteht, worauf er eigentlich hinauswill: «Wenn ich das so höre, was hier gesagt wird, komme ich mir selbst vor wie ein Indianer, den man ins Reservat drängt, wo noch ein paar Wölfe frei herumlaufen, währenddem die Städter im Park keinen Hundeleinenzwang haben. Man darf keine Zweitwohnungen mehr machen. Wir dürfen gar nicht mehr leben. Und dann verschandelt ihr die schöne Landschaft mit Solarpanels.»

Wohin Graber mit dieser langen, wirren Anekdote zusteuert: Gemäss seinen Informationen hätten in Savognin «sogenannte ‹bürgerliche› Gemeinderatsmitglieder» Druck auf die Alpgenossenschaft ausgeübt, damit diese ihr Land günstig für den Solarpark hergeben würden.

Eine «Kolonialmentalität» von den Städten gegenüber der Landbevölkerung sei das. Wo der Stadt-Land-Graben in seiner Rhetorik plötzlich herkommt, weiss man nicht so genau. Auf jeden Fall hält Graber fest: «Da muss man sich nicht wundern, wenn solche Projekte nicht mitgetragen werden.»

«Herr Graber spielt seine Opferrolle sehr gut», kommentiert das Wismer-Felder. «Merci!», sagt Graber mit einem süffisanten Lächeln. Noch eine Provokation. Jetzt kommt Wismer-Felder erst richtig in Fahrt.

Was ist denn diese «Energiewende»?

Wismer-Felder vergisst und überhört ab sofort nichts, was Graber da und dort in der Sendung fallen lässt. Auch wenn er noch so leise murmelt: «Ich weiss nicht mal, was diese Energiewende sein soll.»

Sobald Wismer-Felder das Wort erteilt bekommt, haut sie ihm seine eigenen Aussagen um die Ohren: «Der Herr Graber hat gesagt, er wisse nicht, was die Energiewende ist. Dann erstaunt es mich doch, wenn er in einem anderen Satz sagen kann, die Energiewende nicht funktioniert. Das stimmt nicht.»

Wie eine geduldige, aber strenge Lehrerin erklärt sie es Graber gerne nochmals: Die Energiewende brauche alle Technologien mit erneuerbaren Energien – Wind, Wasser, Sonne, Biomasse. Diese Technologien auszubauen, so wie geplant, sei bisher aber nicht möglich gewesen. Weil es nicht gelungen sei, die Bevölkerung abzuholen.

Grabers Antwort ist zunächst so wirr, die Autorin hat in der Nacht aufgegeben, sie nachvollziehbar wiedergeben. Auf jeden Fall verteidigt er sich selbst und kritisiert die ehemalige CVP-Bundesrätin Doris Leuthard.

Wismer-Felders K.O.-Schlag

Was Graber gleich auch noch kritisiert: Es gäbe keine wirkliche Strategie bei der Energiewende.

Den «Mantelerlass», den das Parlament im Herbst 2023 gutgeheissen hat, könnte man hingegen durchaus als eine Strategie bezeichnen. Der Vorstoss sieht eine Beschleunigung der Bewilligungsverfahren für den Bau grosser Solar-, Wind- und Wasserkraftanlagen vor.

Konkret bedeutet das: Gegen die Grossprojekte können nur noch gesamtschweizerische Organisationen Einsprache erheben. Auch darf nur noch ein Mal Einsprache erhoben werden und nicht mehrere Male. Ob die Standortgemeinden ein Vetorecht bei der Bewilligung haben sollten oder nicht, darüber ist man sich im Parlament hingegen noch nicht einig.

Graber kann sich abermals in Rage reden. Eigentlich heisse der Mantelerlass ausgeschrieben: «Bundesgesetz für eine sichere Energieversorgung mit erneuerbaren Energien». Das sei schon ein Widerspruch in sich. «Stand heute ist das nicht möglich. Wir können nicht eine sichere Energieversorgung nur mit erneuerbaren Energien haben.»

Blöd nur, dass die SVP im Parlament grossmehrheitlich für den Mantelerlass gestimmt hat. Und Graber selbst einer dieser SVP-Parlamentarier war. Auf diesen Widerspruch von Moderator Brotz hingewiesen, kommt Graber in Erklärungsnot.

Wismer-Felder amüsiert das sichtlich. Dankend nimmt sie die Vorlage an, die Graber ihr da bietet. Für ihren finalen Schlag. Einen Vorstoss schlecht reden, für den man selbst gestimmt habe: «Dass man jetzt, im Rückwärtsgang sagt: ‹Eigentlich möchte ich es doch nicht so ganz.› Das zeugt also nicht gerade von Rückgrat, Herr Graber!

Autsch. Der hat gesessen. Erholen kann sich Graber davon an diesem Abend nicht mehr. Wismer-Felder verwendet ihre restliche Energie dafür darauf, auch noch FDP-Wasserfallen und dem geladenen Präsidenten des Vereins «Freie Landschaft Schweiz», der kürzlich gleich zwei Initiativen gegen Windkraftwerke lanciert hat, Paroli zu bieten.

SP-Suter unterstützt dabei, wo sie kann. Aber am Schluss kann man für die Geschichtsbücher notieren: Hilfe braucht Wismer-Felder in dieser «Arena» nicht, um ihre Gegner zu zerlegen.