Die Rechte versucht derzeit mit aller Kraft, einen Skandal um Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf zu konstruieren. Der Rücktritt des Staatssekretärs Michael Ambühl und ein Parteiprotokoll der BDP sollen belegen, wie heimtückisch die Finanzministerin angeblich agiert.
Der Vorwurf: Seit Februar schon strebe Widmer-Schlumpf den automatischen Informationsaustausch (AIA) in Steuerfragen an, obwohl der Bundesrat offiziell bis heute die Abgeltungssteuer als Alternativmodell propagiere. Für FDP-Präsident Philipp Müller hat die Bündnerin die Position des Bundesrates «systematisch hintertrieben». Der Aargauer Nationalrat glaubt auch zu wissen warum: Indem sie laufend Konzessionen nach links mache, wolle sie sich ihre Wiederwahl in zweieinhalb Jahren sichern.
Beim fidelen, von der «Neuen Zürcher Zeitung» nach Kräften angeheizten Widmer-Schlumpf-Bashing will natürlich auch SVP-Chef Toni Brunner nicht abseitsstehen. Der Gesamtbundesrat müsse punkto Finanzplatzstrategie das «Heft nun in die Hand nehmen», fordert der Toggenburger forsch. Die NZZ selber spricht von einer «Sololäuferin, die mit gezinkten Karten spielt» und sie ruft nach dem Bundespräsidenten Ueli Maurer, der die «Zwietracht säende Finanzministerin» endlich mit einem Machtwort zur Räson bringen möge.
Automatischer Informationsaustausch wird kommen
Eveline Widmer-Schlumpf ist selbstverständlich keine Heidi aus den Bergen. Sie ist kein Goldfischchen, das nicht wüsste, wie es sich im Berner Haifischbecken zu verhalten hat. Sie kalkuliert, pokert, finassiert und passt sich schlangenmässig an, wenn es gerade opportun ist. Derlei Verhalten ist im Bundeshaus gang und gäbe. Ihr daraus einen Strick zu drehen, ist scheinheilig.
Worum gehts denn? Seit Herbst 2012 ist ruchbar, dass sich die Abgeltungssteuer als Gegenkonzept zum automatischen Informationsaustausch international nicht durchsetzen wird. Bewegliche Köpfe wie Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz haben das schon viel früher gemerkt. Der Bundesrat hat zwar im Dezember im Bericht zum Finanzplatz seine ablehnende Haltung bekräftigt. Die negative Formulierung wurde aber abgeschwächt.
Fast gleichzeitig machte sich eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des ehemaligen Seco-Ökonomen Aymo Brunetti an die Aufgabe, eine künftige Strategie für den Finanzplatz zu entwerfen. Dass diese in Richtung AIA gehen wird, ist im Bundeshaus weitgehend klar. Konkrete Ergebnisse werden noch vor der Sommerpause erwartet.
Seit Dezember wissen eigentlich alle, dass der Informationsaustausch irgendwie und irgendwann kommen wird. Nur den Willen, dies laut zu sagen, hatten im bürgerlichen Lager die wenigsten. Auch die Finanzministerin nicht. Sie überlässt diesen Job – wie auch der Gesamtbundesrat – der Gruppe Brunetti und beschränkt sich selber darauf, die Öffentlichkeit mit offiziösen Anspielungen auf den bevorstehenden Kurswechsel vorzubereiten. Hinterhältig ist das nicht, höchstens mutlos.
Der Rücktritt Michael Ambühls und das vermeintlich so brisante BDP-Protokoll vom Februar sind daher für die Widmer-Schlumpf-Gegner willkommene, neue Gelegenheiten, die ungeliebte Magistratin zu tadeln. Daran, dass die Schweizer Banken das Bankgeheimnis selber diskreditiert haben, ändert dies ebenso wenig wie die Tatsache, dass die internationale Gemeinschaft mit der Abgeltungssteuer wenig anfangen kann.