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Deutschland

Christine Lambrecht: Warum die deutsche Pannen-Ministerin geht – und wer ihr nachfolgen könnte

Die deutsche Verteidigungsministerin hat Kanzler Scholz um ihre Entlassung gebeten. Im Amt erschien Lambrecht allzu oft überfordert. Ihr Nachfolger soll am Dienstag bekannt gegeben werden. 
Seit 2019 gehörte sie in verschiedenen Funktionen der deutschen Regierung an, nun hat sie aufgegeben: die SPD-Politikerin Christine Lambrecht. 
Bild: Bild: Clemens Bilan/EPA

Noch ihr Abgang hatte etwas Unwürdiges an sich: Bereits am Freitagabend hatten deutsche Medien verbreitet, Christine Lambrecht werde zurücktreten. Bis dies zur Gewissheit wurde, vergingen noch einmal zwei Tage. Am Montag bat die deutsche Verteidigungsministerin Bundeskanzler Olaf Scholz endlich um ihre Entlassung. Dass ihre Demission das politische Berlin erschüttert hätte, wird wohl niemand behaupten wollen: Die Sozialdemokratin galt seit langem als angezählt.

Von den Ministern der derzeitigen deutschen Regierung hat bis jetzt niemand unglücklicher agiert als Lambrecht. Die Amtszeit der 57-Jährigen stand von Anfang an unter schlechten Vorzeichen: Sie wolle unbedingt Ministerin bleiben, verbreiteten die Berichterstatter nach der letzten Bundestagswahl im Herbst 2021. Unter Kanzlerin Angela Merkel hatte Lambrecht das Justizressort geführt, doch nun fand sich für sie nur das Verteidigungsministerium, sodass sie sich mit Angelegenheiten beschäftigen musste, die ihr denkbar fremd waren.

Sie erhielt mehr Aufmerksamkeit, als ihr guttat

Mit dem schwierigen Ressort gefremdelt hatten auch einige von Lambrechts Vorgängern, etwa Ursula von der Leyen, die heutige EU-Kommissionspräsidentin. Doch im Fall Lambrechts machten die Weltläufte das Unglück komplett: Nachdem Russland im Februar letzten Jahres die Ukraine überfallen hatte, verkündete Scholz eilig eine «Zeitenwende».

Seither soll die Bundeswehr, die über Jahrzehnte vernachlässigt worden war, mit 100 Milliarden Euro auf Vordermann gebracht werden. Damit hatte Lambrecht plötzlich eine sehr grosse Aufgabe – und mehr öffentliche Aufmerksamkeit, als ihrem Ansehen guttat.

Schon bald häuften sich die Probleme: Vor allem das ineffiziente Beschaffungswesen der Bundeswehr bekam Lambrecht nicht in den Griff. Zuletzt geriet die deutsche Armee wegen des teuren, aber untauglichen Schützenpanzers Puma in die Schlagzeilen. Hinzu kam, dass die Ministerin äusserst unglücklich kommunizierte: Zum Jahreswechsel fiel sie durch ein Instagram-Video auf, in dem sie unter dem Lärm von Silvesterraketen darüber schwadronierte, der Ukraine-Krieg habe ihr «viele, viele Begegnungen mit interessanten, mit tollen Menschen» beschert.

Eva Högl und Siemtje Möller als mögliche Nachfolgerinnen

Kanzler Scholz, der als stur gilt und für einen Politiker relativ wenig auf die öffentliche und die veröffentlichte Meinung gibt, hielt dennoch an seiner Parteikollegin fest. Auch Lambrechts Rücktritt soll auf ihre Initiative hin erfolgt sein und nicht etwa, weil die Ministerin dazu gedrängt worden wäre. Am Montag dankte Scholz Lambrecht für «die gute Arbeit». Diese machte derweil die Medien für ihren Abgang verantwortlich: Deren Fokussierung auf ihre Person habe eine sachliche Diskussion nicht mehr zugelassen. Fehler räumte die Ministerin nicht ein.

Lambrechts Partei, die SPD, muss nun eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger benennen. Das soll am Dienstag geschehen. Um dem Geschlechterproporz Rechnung zu tragen, müsste das Ministerium zum vierten Mal in Folge von einer Frau geführt werden.

Dies könnte für Eva Högl sprechen. Als Wehrbeauftragte des Bundestages ist sie so etwas wie die Interessenvertreterin des Militärs im deutschen Parlament – und scheut dabei auch nicht davor zurück, Missstände klar zu benennen. Genau das könnte allerdings auch ihr Problem werden, sollte sie ins Kabinett einziehen: Kürzlich erklärte sie, die Bundeswehr brauche 200 Milliarden Euro, nicht nur 100 Milliarden.

An solchen Aussagen würde eine Verteidigungsministerin Högl natürlich gemessen werden. Vergleichsweise unbelastet wirkt dagegen Siemtje Möller, eine Bundestagsabgeordnete, die dem konservativen SPD-Flügel zugerechnet wird und als profilierte Verteidigungspolitikerin gilt.

Oder doch wieder einmal ein Mann?

Als mögliche Nachfolger werden auch Arbeitsminister Hubertus Heil und Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt gehandelt. Beide gelten als kompetent und erfahren, und wenn Scholz einen von ihnen in seinem bisherigen Amt durch eine Frau ersetzen würde, könnte er dem Proporz auf diese Weise Rechnung tragen.

Möglich erscheint allerdings auch, dass der Kanzler und seine Partei die Geschlechterfrage angesichts der grossen Herausforderungen, vor denen der neue Ressortchef steht, hintanstellen und sich für den SPD-Chef Lars Klingbeil entscheiden. Als Sohn eines Berufssoldaten ist ihm eine gewisse Militärnähe nicht abzusprechen. Zudem gilt Klingbeil innerhalb seiner Partei als Konservativer und stünde damit in einer Traditionslinie angesehener sozialdemokratischer Verteidigungsminister wie Helmut Schmidt, Georg Leber und Peter Struck.