Sebastian Heselhaus, Rechtsprofessor an der Uni Luzern, hält das Unterlassen einer Prüfung des Einzelfalls für einen Verstoss gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). «Nach überwiegender Ansicht der Rechtswissenschafter ist ein Automatismus nicht mit der EMRK vereinbar.»
Alberto Achermann, Assistenzprofessor für Migrationsrecht an der Uni Bern, teilt diese Einschätzung. Er geht aber davon aus, dass die Richter die Bestimmungen der EMRK höher gewichten würden als ein neues Ausschaffungs-Gesetz: «Das Bundesgericht hat sich für den Vorrang des Völkerrechts ausgesprochen.»
Anliegen nicht umsetzbar
Darüber hinaus sieht Achermann durch automatische Ausschaffungen das Freizügigkeitsabkommen mit der EU gefährdet. «EU-Bürger dürfen nicht nach Belieben rausgeworfen werden, das ist ein zentraler Punkt des Abkommens.»
Demnach darf eine verurteilte Person nur dann ausgeschafft werden, wenn von ihr auch in Zukunft eine Gefährdung ausgeht. «So wie es die Initianten wünschen, sind ihre Anliegen nicht umsetzbar», sagt Achermann.
Der Zürcher SVP-Nationalrat Gregor Rutz widerspricht der Einschätzung der Rechtsprofessoren: «Weder das Freizügigkeitsabkommen noch andere internationale Übereinkommen sind in Gefahr.» Mit dem abgeschlossenen Katalog von Straftaten solle auch der Ermessensspielraum der Richter eingeschränkt werden, sagt Rutz.
Daran stört sich der emeritierte Freiburger Rechtsprofessor Thomas Fleiner: Die Gerichte würden zu einer Administrativbehörde degradiert. «Können die Richter nicht mehr selber entscheiden, kann man sie gleich entlassen. Solche Rechtssätze stehen einer Lynchjustiz gefährlich nahe.» Ausserdem widerspreche eine automatische Ausschaffung elementaren Rechtsgrundsätzen wie dem Verhältnismässigkeitsgebot.
Undankbares Los des Parlaments
Auf der einen Seite die juristischen Grundsätze, auf der anderen Seite der Wille des Stimmvolks, das sich 2010 zur Ausschaffungsinitiative und damit auch zu einer automatischen Ausschaffung krimineller Ausländer bekannt hat. Die Ausgangslage für die Parlamentarier als Gesetzgeber ist denkbar schwierig – und wird durch die Durchsetzungsinitiative der SVP zusätzlich erschwert.
Bis anhin setzte sich Justizministerin Simonetta Sommaruga gemeinsam mit der Linken und den Mitteparteien für eine möglichst verfassungs- und völkerrechtskonforme Umsetzung der Initiative ein. Nun scheint der Widerstand in der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats (SPK) jedoch zu bröckeln: Bürgerliche SPK-Mitglieder wollen eine Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative verhindern, indem sie den Forderungen der SVP in einem Gesetz weitgehend nachkommen. Sie begründen den harten Kurs mit dem Volkswillen, den es zu respektieren gelte.
Die Ausschaffung müsse die zwingende Folge einer Verurteilung sein – unabhängig von der Höhe der Strafe, sagt SVP-Nationalrat Gregor Rutz. Die Aufnahme eines derartigen Automatismus in den Gesetzestext scheint möglich. Vergangene Woche lehnte die Mehrheit der Staatspolitischen Kommission einen Antrag ab, der den Grundsatz der Verhältnismässigkeit berücksichtigen wollte. Der Entscheid der SPK fällt voraussichtlich Mitte Februar.