Abgestimmt wird zwar erst im November, doch die Gewerkschaft Unia hat ihre Plakatkampagne für die 1:12-Initiative bereits lanciert. Mit Hamburgern wird illustriert, dass der höchste Lohn in einem Unternehmen nicht mehr als das zwölffache des tiefsten betragen soll.
Hohe Löhne haben allerdings auch ihr Gutes. «Die Reichen brauchen die AHV nicht, aber die AHV braucht die Reichen», wusste bereits der verstorbene SP-Bundesrat Hans-Peter Tschudi. Er gilt als wichtiger Gestalter der Altersvorsorge. Tschudis Aussage hat einen Grund. Leute mit einem hohen Einkommen bezahlen auf jedem Franken ihres Lohnes einen Beitrag an die AHV. Doch sie erhalten wie alle anderen eine maximale AHV-Rente von derzeit rund 28'000 Franken pro Jahr. «Leute mit tiefen und mittleren Einkommen profitieren von den Beiträgen der Leute mit hohem Lohn», schrieb deshalb Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), einst in seinem Blog. Die AHV stehe unter «bürgerlichem Dauerdruck, weil nichts in der Schweiz so stark umverteilend wirkt wie die AHV – auch die direkten Steuern nicht», schrieb Lampart.
Loch wegen Abzocker-Initiative
Mögliche Ausfälle bei der AHV führte der Gewerkschafter Lampart denn auch als Argument gegen die Abzocker-Initiative ins Feld, die im März vom Stimmvolk angenommen wurde. Die Initiative führe zu einer Verlagerung der Managerlöhne zu den Gewinnen der Aktionäre, hielt er gegenüber der «NZZ am Sonntag» fest. Das führe zu einem «Loch bei der AHV», weil auf Dividenden anders als bei Löhnen und Boni keine AHV-Beiträge erhoben würde. «Das wäre ein Eigengoal», sagte auch SGB-Präsident und Ständerat (SP/SG) Paul Rechsteiner.
Als Folge des Ja zur Abzockerinitiative fürchtet der SGB also um «mehrstellige Millionenbeträge» für die AHV. Die 1:12-Initiative verfolgt jedoch das gleiche Ziel wie die Abzocker-Initiative einfach mit anderen Mitteln: die Kürzung der Managerlöhne – mit Folgen für die Einnahmen der Sozialwerke. Paul Rechsteiner lässt den Vergleich zwischen den beiden Volksbegehren jedoch nicht gelten, weil die Wirkung unterschiedlich sei: «Die Abzocker-Initiative stellt die Aktionäre besser, die 1:12-Initiative die schlechter Verdienenden», sagt der SGB-Präsident. Rechsteiner geht davon aus, dass die Initiative zu einer gerechteren Verteilung der Lohnsumme führen würde und damit für die AHV neutral sei. Oder wie es SGB-Sprecher Ewald Ackermann sagt: «Oben werden die Löhne gekürzt, unten angehoben.» Gleich argumentiert die Unia: «Die Summe der Versicherungsbeträge bleibt die gleiche, sie setzt sich einfach anders zusammen.»
Zweifel an Erwartungen
Der Bundesrat bezweifelt in seiner Botschaft die Erwartungen der Initianten, dass sich eine Beschränkung der Top-Löhne positiv auf die übrigen Einkommen auswirken würde. Einerseits, weil die Anpassung der Kaderlöhne für viele Unternehmen «keine realistische Option sei». Andererseits, weil Firmen mit hohen Entschädigungen des Managements auch den übrigen Angestellten «überdurchschnittliche Löhne» bezahlen. Der Bundesrat beziffert die finanziellen Auswirkungen der 1:12-Initiative nicht, schreibt aber von «erheblichen Einnahmeausfällen bei Steuern und Sozialversicherungen».
Dem Gewerbeverbandspräsidenten und Nationalrat (SVP/FR) Jean-François Rime genügt diese Aussage nicht. Gemäss «Newsnet» verlangt er in einer Interpellation konkrete Zahlen, welche Einbussen für die Sozialversicherungen und die Suva durch eine Beschränkung der höchsten Löhne auf 500'000 Franken entstehen würden. So viel würde die staatlich verordnete Lohnobergrenze bei einem Tiefstlohn von 3500 Franken betragen. 2010 erhielten in der Schweiz rund 12'000 Arbeitnehmer einen Lohn von über einer halben Million Franken. Die «NZZ» errechnete daraus für die Sozialversicherungen AHV, IV und EO Mindereinnahmen von 560 Millionen Franken. Dies ist indes eine statische Betrachtung ohne Berücksichtigung von allfälligen Verhaltensänderungen von Firmen und Einzelpersonen.
Dividenden statt Lohn
Eine solche könnte sein, dass sich Inhaber von Firmen vermehrt Dividenden statt Löhne ausbezahlen würde – zulasten der Sozialwerke. Damit entstünde der gleiche Effekt, den die Gewerkschafter bei der Abzocker-Initiative befürchten und den sie bei der Unternehmenssteuerreform II harsch kritisieren. Zumindest Ständerat This Jenny (SVP/GL) machte bei der Parlamentsdebatte keinen Hehl daraus, dass er bei der Annahme der Initiative diesen Weg wählen würde. Seinem Ratskollegen Rechsteiner macht dies allerdings kein Kopfzerbrechen: «Die Behörden lassen diese Praxis nicht unbeschränkt zu.»
So oder so: Die Auswirkungen für die AHV werden im Abstimmungskampf zur 1:12-Initiative eine wichtige Rolle spielen.