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Naher Osten

«Ein Skandal, der Leben kostet»: Bundesrat vertagt Entscheid über Schweizer Beitrag ans Palästinenserhilfswerk UNRWA

Der Bund will 56 Millionen Franken für humanitäre Hilfe im Nahen Osten freigeben. Ob auch das in die Kritik geratene UNO-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge Geld erhält, will er erst später entscheiden. Vorpreschen wollen dafür andere.
Palästinensische Flüchtlinge suchen in Rafah nahe der Grenze zu Ägypten Schutz.
Bild: Bild: Haitham Imad / EPA

Für die einen ist sie Teil des Problems, für die anderen unverzichtbar. Die UNRWA, das UNO-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge, steht seit langem in der Kritik, doch zuletzt hat sich diese massiv verschärft. Israel warf unter anderem zwölf Mitarbeitern der UNRWA vor, am Hamas-Massaker vom 7. Oktober beteiligt gewesen zu sein. Mehrere Staaten legten ihre Beiträge an die Organisation daraufhin auf Eis.

Die Schweiz wollte die UNRWA dieses Jahr mit rund 20 Millionen Franken unterstützen. Ob es so weit kommt, ist fraglich: Am Mittwoch hat der Bundesrat über die Auszahlung beraten – und den Entscheid vertagt. Er wolle den am Montag publizierten Untersuchungsbericht zur UNRWA zuerst im Detail studieren, erklärte er.

Laut dem Bericht hat Israel für manche der Vorwürfe keine Beweise vorgelegt; so etwa für die Aussage, eine beträchtliche Anzahl von UNRWA-Mitarbeitenden seien Mitglieder von terroristischen Organisationen. Gleichzeitig stellten die Experten aber Probleme bei der Einhaltung der Neutralität fest wie etwa problematische politische Äusserungen von Mitarbeitenden oder Schulbücher mit problematischem Inhalt.

Bürgerliche wollen Beitrag streichen

Linke Parteien und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International fordern angesichts der Not eine rasche Auszahlung. SP-Aussenpolitiker Fabian Molina sagt: «Der Gazastreifen ist ein Grab für Kinder geworden, der Hunger unter den Überlebenden nimmt zu.» Vor diesem Hintergrund sei der Entscheid des Bundesrats «ein Skandal, der Leben kostet». Die Gelder müssten so rasch als möglich deblockiert werden.

Der innenpolitische Wind weht allerdings in die andere Richtung. Viele Bürgerliche wollen den Schweizer Beitrag streichen. Wie die Tamedia-Zeitungen berichteten, hat EDU-Nationalrat Erich Vontobel einen Antrag eingereicht : Die 20 Millionen Franken sollen anderen, anerkannten Hilfswerken übermittelt werden. «Es darf aus der Schweiz kein Geld - auch wenn ‹nur› indirekt - an die terroristische Hamas gelangen», fordert Vontobel. Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats wird sich Anfang nächster Woche damit beschäftigen. Der Antrag auf eine Kommissionsmotion hat gute Chancen.

Einer der Wortführer ist FDP-Aussenpolitiker Hans-Peter Portmann. «Keine Organisation, auch nicht die UNRWA, ist unverzichtbar», sagt er. Es gehe darum, Hilfsgüter und medizinische Güter an die notleidende Bevölkerung zu verteilen – ohne, dass Geld in terroristische Hände gerate. Das sei bei der «bürokratischen und lokal verbandelten UNRWA» nicht garantiert. Deshalb müssten die 20 Millionen Franken in Nothilfe-Aktionen vor Ort umgeleitet werden, «wo sich die Mitarbeitenden der Sache und nicht dem Salär der UNRWA verpflichtet fühlen».

Kritisch gegenüber der UNRWA zeigt sich auch Mitte-Aussenpolitikerin Elisabeth Schneider-Schneiter. Humanitäre Hilfe sei unbedingt nötig, sagt sie. «Doch die UNRWA ist Teil des Problems.» Es brauche neutrale Organisationen für die humanitäre Hilfe.

Der innenpolitische Druck dürfte den Bundesrat nicht kalt lassen, wenn er in den nächsten Wochen über den UNRWA-Beitrag entscheidet. Umstritten ist die Frage, inwiefern andere Organisationen die Arbeit der UNRWA übernehmen könnten. Im Untersuchungsbericht wird diese als «unersetzlich und unverzichtbar» beschrieben. Die UNO-Organisationen erklärten im Januar in einer Stellungnahme , keine andere Organisation als die UNRWA habe die Kapazität, in diesem Umfang Hilfe zu leisten.

Bundesrat will 56 Millionen freigeben

Verschiedene westliche Länder kamen zu unterschiedlichen Schlüssen: Während die USA die UNRWA-Gelder strichen, hat die EU-Kommission Anfang März 50 Millionen Euro freigegeben. Deutschland kündigte am Mittwoch an, die Zahlungen fortzusetzen.

Dass die Schweiz – zumindest vorerst – den Beitrag an die UNRWA blockiert, heisst indes nicht, dass sie gar nichts tut: Der Bundesrat will 56 Millionen Franken für humanitäre Hilfe im Nahen Osten freigeben. Das Geld geht an verschiedene Organisationen wie etwa das Schweizerische Rote Kreuz. Laut Aussendepartement wird damit humanitäre Hilfe in Irak, Jordanien, Libanon, Syrien und in den besetzten palästinensischen Gebieten inklusive Gaza (rund 8 Millionen Franken) geleistet. Der Bundesrat hatte 2023 zudem als Reaktion auf die Eskalation des Nahostkonflikts zusätzliche 90 Millionen Franken für die humanitäre Nothilfe gesprochen.