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Internetsuche

Tiktoken statt googeln

Junge nutzen vermehrt die Videoplattform Tiktok als Suchmaschine. Die Folge: Google könnte sein Quasi-Monopol verlieren.

Visuelle Suche wird immer beliebter, vor allem bei den Jungen. Per Text nach etwas zu googeln, ist bei ihnen out.
Bild: Keystone

Die populäre Video-Plattform Tiktok ist bekannt für Tänze und Musikvideos. Über eine Milliarde Nutzer auf der Welt wischen sich durch einen Strom kuriosester Videoschnipsel. Doch für die Generation Z ist Tiktok mehr als ein digitales Daumenkino, sondern auch eine Suchmaschine. Auf der Plattform suchen junge Nutzer nach Restaurants, Kochrezepten oder Bewerbungstipps.

Wer in das schmale Suchfenster der App zum Beispiel «Bakso Soup» eingibt, erhält eine ganze Reihe von Kochtipps für die indonesische Fleischbällchensuppe. Der Vorteil: Man bekommt keine Rezepte in Schriftform, wie das etwa bei einer Google-Suche der Fall ist, sondern Zubereitungsvideos.

Auch zu simplen Dingen des Alltags, etwa wie man eine Weinflasche entkorkt, gibt es haufenweise Erklärvideos.

Der Aufstieg Tiktoks zur digitalen Auskunft ist Teil einer strukturellen Veränderung des Suchmaschinenmarkts. Zwar ist Google mit einem weltweiten Marktanteil von über 90 Prozent noch immer der unangefochtene Platzhirsch. Doch die textbasierte Websuche, die Google grossmachte und die Konkurrenz von Altavista und Yahoo ausschaltete, ist immer weniger gefragt in einem digitalen Ökosystem, in dem Nutzer vor allem Video- und Audiodateien ins Netz stellen. Und das bedroht Googles Kerngeschäft: den Werbemarkt.

Angst um Werbekunden

Werbekunden bezahlen Geld für Anzeigen, weil sie sicher sein können, dass ihr Unternehmen bei der Eingabe eines bestimmten Suchbegriffs in der Trefferliste auftaucht. Wenn aber die potenzielle Kundschaft ganz woanders sucht, lohnt es sich für Unternehmen immer weniger, in diesem Werbeumfeld präsent zu sein. In der wichtigen Kategorie der Produktsuchen wurde Google bereits von Amazon überholt.

Im kalifornischen Mountain View, dem Hauptquartier des Suchmaschinenriesen, schauen sie daher mit Argusaugen auf die neue Konkurrenz von Tiktok. Google-Manager Prabhakar Raghavan sagte im Juli auf einer Konferenz, dass 40 Prozent der Internetnutzer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren nicht mehr Google benutzen, wenn sie nach einem Restaurant suchen, sondern Tiktok oder Instagram. Raghavan wies darauf hin, dass jüngere Leute noch nie eine Papierkarte gesehen hätten, der Kartendienst Maps jedoch genauso designt sei.

Umständlich und bei den Jungen unbeliebt: Bildersuche via Google.
Bild: Screenshot

Das Thema «Visual Search» spielt bei Millennials eine immer wichtigere Rolle. Sie wollen keinen Text, sondern (Bewegt-)Bilder. Zwar hat Google schon vor 20 Jahren eine Bildersuche eingeführt, die sogar eine Rückwärtssuche beinhaltet. Doch wer nicht beruflich gefälschte Fotos aufspüren will, für den ist das mehr eine Technikspielerei. Google muss sich also neu erfinden, wenn es seine Dominanz behaupten will.

Das Metaverse verändert die Spielregeln im Suchmaschinenmarkt

In diesem Jahr hat der Techkonzern eine neue Multisuchfunktion eingeführt, bei der Text- und Bildsuche kombiniert werden. Google hat seine KI-gestützte Bilderkennung Lens vor allem mit Blick auf eine mögliche Zukunft in Augmented Reality entwickelt. Das Unternehmen testet derzeit eine Datenbrille, die Zusatzinformationen wie Routenanweisungen oder Liveübersetzungen auf die Gläser projizieren soll. Auch Apple und der Facebook-Konzern Meta wollen eigene AR-Hardware auf den Markt bringen.

Das Metaverse, ein digitales Paralleluniversum, wo man sich mit einer Datenbrille einklinkt und mit einem Avatar bewegt, könnte den Suchmaschinenmarkt durcheinanderwirbeln. Denn in dieser 3D-Welt müssen Inhalte komplett neu katalogisiert werden. Mit einem Webcrawler, der Links durchforstet, kommt man da nicht weiter. Im Metaverse ist es nicht entscheidend, welche Links die Nutzer anklicken (das gewichtet der Google-Algorithmus), sondern welche Räume sie ansteuern, wohin sie sich bewegen, wohin sie schauen. Diese Verschiebung vom Klick- zum Bewegungs- und Blickverhalten könnte nicht nur das Tracking, sondern auch die Mechanik der digitalen Suche verändern.

Die Frage ist: Wie findet man Unternehmen oder Personen in dieser virtuellen Welt? Wer entwickelt die Suchmaschinen von morgen? Der Journalist Matthew Ball schreibt in seinem aktuellen Buch «The Metaverse», dass Spielentwickler gegenüber etablierten Playern wie Google, deren Welt vor allem zweidimensional sei, einen Vorsprung hätten. So hat beispielsweise der Chiphersteller Nvidia eine Suchmaschine entwickelt, die auch 3D-Objekte findet. Das KI-basierte Tool namens Deepsearch soll sowohl über Texteingabe als auch über Drag-and-drop-Technik bedient werden können. Vorstellbar wäre, dass man ein virtuelles Objekt, etwa ein Auto, in die Suchmaschine zieht und dann ähnliche Objekte mit einer genauen Positionierung im Raum angezeigt bekommt.

Noch ist das alles Zukunftsmusik. Doch wer im umkämpften Suchmaschinenmarkt bestehen will, muss auch in 3D-Welten Orientierung bieten. Ob das Google sein wird, weiss niemand.