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EU-Gipfel

Brexit oder nicht? Cameron sucht «Lösungen, nicht Kompromisse»

Es geht um den Verbleib Grossbritanniens in der EU: Der EU-Gipfel in Brüssel signalisiert Premier David Cameron die Bereitschaft zu einem Deal - aber nicht um jeden Preis.

David Cameron hat sich in eine schwierige Position manövriert. Eigentlich will er, dass Grossbritannien Mitglied der Europäischen Union bleibt. Doch nur, wenn diese eine «neue, reformierte EU» wird, wie der konservative britische Premierminister gestern wiederholte. Seine Forderungen aber wird die EU nur teilweise erfüllen, wie sich in den vergangenen zwei Tagen am EU-Gipfeltreffen in Brüssel gezeigt hat.

Höflich liessen die Staats- und Regierungschefs ihren britischen Amtskollegen eine ungewöhnlich lange Rede von 45 Minuten halten. Inhaltlich blieben sie bei der Knacknuss, der Personenfreizügigkeit, jedoch hart. Cameron verlangt, dass Einwanderer aus anderen EU-Ländern vier Jahre warten müssen, bevor sie Sozialleistungen beantragen dürfen.

Von den osteuropäischen Politikern bis zur deutschen Kanzlerin Merkel kam aber einhellig die Botschaft: Die Ungleichbehandlung von EU-Bürgern ist nicht akzeptierbar. Ratspräsident Donald Tusk sagte nach einer langen Diskussion in der Nacht auf Freitag: «Wir sind absolut überzeugt, dass wir hart bleiben müssen, wenn es darum geht, rote Linien und fundamentale Werte zu verteidigen.»

Am EU-Gipfel fanden die Staats- und Regierungschefs denn auch erwartungsgemäss keine Einigung mit Cameron. Bis im Februar soll nun Tusk Kompromissvorschläge erarbeiten. Zur Diskussion steht etwa eine Art Notbremse für die Zuwanderung, ähnlich jener, welche die Schweiz anstrebt. Möglich ist aber auch, dass Grossbritannien durch neue administrative Hindernisse den Zugang von EU-Bürgern zum Sozialsystem einschränken darf.

Keine Chance für Kontingente
Klar ist nach dem Gipfel nur eines: Camerons Forderung nach einer Wartefrist für den Zugang zum Sozialsystem wird nicht erfüllt, auch wenn der britische Premier gestern mehrfach sagte, sie sei «nicht vom Tisch». Cameron versucht damit, eine herbe Niederlage zu überspielen. Zunächst hatte er Grösseres vor: Er wollte die Personenfreizügigkeit mit Kontingenten einschränken. Weil das Vorhaben keine Chance hatte, bot er die Wartefrist als Kompromiss an.

Nun dürfte er nur den Kompromiss des Kompromisses erreichen. Camerons Position wird damit schwierig, wenn er in den Abstimmungskampf über den britischen Verbleib in der EU zieht: Es wird ihm schwer fallen, glaubwürdig zu versichern, die EU habe seine Einwände ernst genommen.

Im Hinblick auf die schwierige Überzeugungsarbeit zu Hause hat der britische Premierminister seine Wortwahl angepasst. Er suche zusammen mit der EU «keine Kompromisse, sondern Lösungen», sagte Cameron. Einen Kompromiss bei der Personenfreizügigkeit wird er darum nicht als Entgegenkommen Grossbritanniens darstellen, sondern vielmehr als gleichwertigen Ersatz.

Zudem bemüht er sich, die Verhandlungen als ausgesprochen schwierig darzustellen. Nur so kann Cameron das Ergebnis schliesslich auch als seinen hart erkämpften Erfolg verkaufen. Bis vor kurzem noch hiess es, nur bei der Personenfreizügigkeit sei die Lösungssuche anspruchsvoll. Gestern jedoch sagten sowohl Cameron als auch Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, alle vier Verhandlungsfelder benötigten noch viel Arbeit.

Vertragsänderung, aber wann?
Cameron verlangt nebst Änderungen bei der Personenfreizügigkeit auch, dass die EU wettbewerbsfähiger wird, dass sie dem Ziel der «immer engeren Union» abschwört, und dass das Zusammenwachsen der Eurozone nicht dazu führt, dass Ländern ohne Euro ein Nachteil erwächst. Bei all diesen Themen erhielt er am Gipfeltreffen viel Zustimmung. Auch versicherten ihm die anderen Mitgliedsstaaten, dass sie Grossbritannien grundsätzlich entgegenkommen wollen. «Alle haben ihre Reden damit begonnen, dass es der EU besser geht, wenn Grossbritannien Mitglied bleibt», sagte Cameron.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel gab Cameron ein zusätzliches Zückerchen, indem sie eine Änderung der EU-Verträge in Aussicht stellte. Das ist ein langwieriges und schwieriges Unterfangen, das Einstimmigkeit aller Mitgliedsländer verlangt, zum Teil mit Volksabstimmungen. Cameron könnte eine Vertragsänderung in Grossbritannien als grossen Erfolg verkaufen.

Doch auch dieser ist nur ein halber: Die Vertragsänderung werde nicht sofort geschehen, sondern bei der nächsten grossen Überarbeitung der Verträge, sagte Merkel. Wann es soweit wäre, ist offen, sicherlich jedoch erst nach der Abstimmung über die EU-Mitgliedschaft in Grossbritannien. David Cameron steht trotz sorgfältig gewählten Worten ein schwieriger Abstimmungskampf bevor.