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Finanzieller Druck

«Es ist naheliegend, dass man sich bei den Lebensmitteln einschränkt»

Wegen der steigenden Preise müssen viele irgendwo Abstriche machen. Nicht alle aber verstehen sich aufs Sparen. Jörg Rieskamp, Direktor des Center for Economic Psychology der Universität Basel, über Selbstbeherrschung, Sicherheitsbedürfnisse und glückliche Lottogewinner.

Die derzeit hohe Inflation hat viele Grundnahrungsmittel wie Brot und Käse verteuert.
Bild: Sam Thomas

Die Inflation ist so hoch wie seit Jahren nicht mehr, die Menschen verlieren an Kaufkraft. Was löst eine solche Konstellation in den Köpfen aus?

Die Inflation ist zwar hoch, aber im Vergleich zu anderen Ländern immer noch mässig. Ich glaube, dass sie in der Schweiz deshalb noch keinen so grossen Einfluss aufs Einkaufsverhalten hat. Inflation ist auch immer ein Durchschnittswert, in bestimmten Bereichen ist sie höher als in anderen. Beispielsweise fällt die Inflation bei Lebensmitteln höher aus als in anderen Bereichen. Da ist es naheliegend, dass man sich bei den Lebensmitteln einschränkt.

Ist Sparen, in dem Sinne, dass man seine Ausgaben reduziert, auf eine Inflation die richtige Antwort oder wäre es klüger, gerade jetzt möglichst viel Geld in Sachwerten zu binden, zum Beispiel ein Auto oder noch besser ein Haus zu kaufen?

Eine schwierige Frage. Aus ökonomischer Perspektive ist es sinnvoll, das Geld in Anlagen zu investieren, die eine Rendite abwerfen. Beispielsweise Aktien, sonst muss man mit Verlusten leben, da die Zinsen auf dem Sparkonto minimal sind. Gerade bei einer hohen Inflation bieten Aktien einen gewissen Schutz. Der direkte Konsum bietet sich dann an, wenn beispielsweise der Kauf von bestimmten Konsumgütern, wie ein neues Auto oder ein neues Velo, sowieso bald ansteht und aufgrund der Inflation mit einer Teuerung zu rechnen ist. Das kann dann aber dazu führen, dass aufgrund der höheren Nachfrage die Inflation noch weiter steigt. Allerdings ist diese Entscheidung vom verfügbaren Einkommen abhängig. Menschen mit einem geringen Haushaltsbudget können auf die gestiegene Inflation nur mit weniger Konsum reagieren.

Jörg Rieskamp ist Professor für ökonomische Psychologie an der Universität Basel.
Bild: zvg

Es gibt Sparer und es gibt Menschen, die leben praktisch auf null – was entscheidet darüber, zu welcher Gruppe man gehört?

Den grössten Einfluss hat das verfügbare Einkommen. Menschen mit geringem Einkommen können gar nicht sparen, sie schaffen es kaum, etwas beiseitezulegen. Psychologische Faktoren haben hier einen geringen Einfluss. Das sieht anders aus, wenn man sich Personen mit einem höheren Einkommen anschaut. Hier spielen psychische Faktoren eine Rolle. Jene, die ihren Lebensstandard langfristig halten und Sicherheiten haben wollen, haben eine grössere Sparquote als Personen mit einem geringeren Sicherheitsbedürfnis.

Oft gibt es gegensätzliche Typen auch in derselben Familie – es kann also nicht alles erlernt respektive eine Folge der Sozialisierung sein.

Es gibt viele Faktoren, die dazu führen, dass man ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis hat. Das kann zum Beispiel durch den Beruf bedingt sein. Wenn jemand eine feste Stelle hat und davon ausgeht, dass das die nächsten Jahre so bleibt, ist das etwas anderes bezogen auf das Sicherheitsbedürfnis, als wenn jemand diese Sicherheit nicht hat.

Kann man umlernen? Was passiert mit jenen, die sich bei jedem Gratis-Buffet angestellt haben, nach einem Lottogewinn?

Am zufriedensten sind jene, die mit dem Lottogewinn sparsam umgehen, ihren Lebensstandard nicht total verändern, sondern sich in Massen vom Zufallsgewinn bedienen. Jene, die ihr Verhalten komplett umstellen, werden langfristig nicht unbedingt glücklicher. Man sollte sein Leben auch nicht grundsätzlich umstellen, wenn man sonst eine höhere Summe erhält, etwa eine Erbschaft oder einen hohen Bonus.

Normalerweise lautet die Frage aber eher umgekehrt, wie man die Sparquote erhöhen kann, wenn etwa die Vorsorge nicht ausreichend ist für den Ruhestand. Bei manchen ist sie nicht hoch genug, um den Standard im Alter zu sichern. Wie schafft man es, genug zu sparen: Häufig spielt die Selbstkontrolle eine grosse Rolle. Hat man diese nicht, geht es darum, sich selbst zu überlisten, zum Beispiel einen Dauerauftrag für Einzahlungen in die 3. Säule einzurichten. Wenn man anfängt, denkt man, dass man gar nicht viel sparen kann, dann kann man die Quote sukzessive erhöhen. Wenn das mit einem höheren Einkommen einhergeht, merkt man es irgendwann gar nicht mehr und muss sich nicht mehr ständig Gedanken darum machen.

Jedes Kind in der Schweiz hat ein «Sparbüechli». Ist unser Land im internationalen Vergleich ein Volk von Sparern?

Die Schweiz hat im Durchschnitt eine sehr hohe Sparquote. Warum? Der erste Grund, die vergleichsweise hohen Einkommen, ist relativ trivial. Bei höherem verfügbarem Einkommen fällt auch die Sparquote höher aus. Der Anteil der Bevölkerung mit geringem Einkommen ist im übrigen Europa sehr viel grösser. Die Schweizer Bevölkerung hat zudem ein stark ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis, auch das dürfte eine Rolle spielen.

Kann man sagen: Wer reich ist, spart automatisch.

Wenn man sich den Personenkreis mit den obersten zwanzig Prozent der Einkommen anschaut, dann kann man eine sehr hohe Sparquote festmachen. Diese führt dann zu einem sehr hohen Durchschnittswert für die gesamte Bevölkerung. Das heisst aber eben nicht, dass alle eine so hohe Quote haben. Gerade Alleinerziehende haben meist geringe Sparquoten, ihr Einkommen ist sehr gering, auch weil sie oft nicht voll arbeiten können.

Auf der Verhaltensebene kann Sparen auch etwas Zwanghaftes haben. Es gibt gut situierte Rentner, die in drei Geschäfte fahren, um Rabatten nachzujagen.

Ich weiss nicht, ob das so ein häufiges Phänomen ist. Es sind vielleicht auch Gewohnheiten, an denen man sich orientiert, die könnte man auch verändern, tut das aber nicht, da man ein bestimmtes Verhalten verinnerlicht hat.

Denken wir von der umgekehrten Seite her. Wenn jetzt ein Jahr des Sparens anbricht, wer kann davon mit welchen Strategien profitieren?

Eine relativ hohe Inflation führt dazu, dass sich Menschen in gewissen Bereichen einschränken. Wenn die Konsumenten genauer auf die Ausgaben schauen, werden jene Unternehmen profitieren, die günstige Angebote machen, Discounter profitieren also tendenziell – oder Pauschalreisen, weil sie dabei helfen, Ausgaben zu kontrollieren.

Sind Leute, die einen ökonomisch oder psychologisch bedingten Sparzwang haben, als Konsumenten besonders leicht zu steuern?

Ich sehe das eher andersherum. Personen, die nicht so sehr auf den Preis achten, lassen sich eher durch Werbung beeinflussen, die bestimmte Produkteigenschaften in den Vordergrund stellen. Personen mit einem geringen Einkommen werden hingegen auf Preisangebote sensibel reagieren. Jemand, der sehr genau auf den Preis schaut, reagiert nur, wenn für ihn tatsächlich ein Gewinn resultiert.