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Waffenlobby

«Aus opportunistischen Gründen beigetreten»: Cassis im politischen Kritik-Hagel

Politiker aller Parteien und Online-User kritisieren Ignazio Cassis – für seinen Pro-Tell-Beitritt genauso wie für seinen Austritt.

Heute vor vier Wochen wurde Ignazio Cassis zum Bundesrat gekürt. Und auch wenn er sein Amt offiziell noch gar nicht angetreten hat, sondern bis Ende Monat Vorgänger Didier Burkhalter regiert: Mit seinem Hüst und Hott rund um Pro Tell sorgt der Tessiner bereits für den ersten veritablen Aufreger.

Unmittelbar nachdem die «Nordwestschweiz» seinen Austritt aus dem Waffenlobby-Verein am Montagabend bekannt gemacht hatte, gingen die Wogen in den sozialen Medien hoch: «Erst die italienische Staatsbürgerschaft abgeben und jetzt aus Waffenlobby austreten: Löst sich Bundesrat Cassis bald in Luft auf?» Ein Journalist schlug aufgrund des rekordschnellen Umdenkens gar die Einführung einer Masseinheit vor: «Neue Halbwertszeiteinheit: ein Cassis». Auch Politiker kritisieren die Wankelmütigkeit des designierten Aussenministers: «Am besten wäre Cassis Pro Tell gar nie beigetreten», sagt der Schwyzer CVP-Nationalrat Alois Gmür. «Doch auch sein rascher Austritt wirft ein schales Licht auf ihn.» Er hoffe, dass Cassis im Bundesrat verlässlicher politisieren werde. «Sonst kommt das nicht gut.»

Zweifel an Cassis’ Rückgrat

Auch in der SVP ist man irritiert. So sagt der Urner Nationalrat Beat Arnold: «Dieser Rücktritt spricht nicht für Cassis. Im Vorfeld der Wahl wollte er den Rechten gefallen, jetzt will er den Linken gefallen. Ich zweifle an seinem Rückgrat.» Hat die SVP Cassis gar wegen seines Pro-Tell-Beitritts und seiner Unterstützung für die Schweizer Schützen die Stimme gegeben? «Nein», sagt Arnold. Das Thema sei weder bei der Anhörung noch in der Fraktion zur Sprache gekommen. Dies bestätigt der Berner SVP-Nationalrat Werner Salzmann. Für den Präsidenten des Bernischen Schiesssportverbands steht die Freude darüber im Vordergrund, dass Cassis Pro Tell überhaupt beigetreten ist. «Er gibt nun zwar die Mitgliedschaft ab, nicht aber sein Gedankengut», hofft Salzmann.

Wütend dagegen ist der Tessiner Lega-Nationalrat Lorenzo Quadri. Auf Facebook schrieb er: «Der gute Cassis trat Pro Tell neun Tage vor der Wahl zum Nachfolger Burkhalters aus rein opportunistischen Gründen bei. Sobald er den Sitz im Bundesrat ergattert hatte, war das Fest vorbei, der Heilige betrogen.»

Erbost ist man auch in der SP, deren Parlamentarier am 20. September grossmehrheitlich für Cassis’ Gegner Pierre Maudet gestimmt hatten. Als «peinlich und besorgniserregend» bezeichnet die Basler Nationalrätin Silvia Schenker den Zickzackkurs des Tessiners. Cassis habe bereits wiederholt gezeigt, dass er «eine Fahne im Wind ist». Auch Parteipräsident Christian Levrat sieht das neueste Manöver bloss als weiteres Kapitel: «Cassis ist sehr leicht zu beeinflussen und lässt die nötige politische Sensibilität vermissen», sagt er. «Das hat sich schon bei seiner Tätigkeit als Kassenlobbyist und bei der unnötigen Rückgabe seines italienischen Passes gezeigt.» Als Bundesrat werde er rasch lernen müssen, sich von der Wirtschaftslobby zu distanzieren und nicht beim geringsten öffentlichen Druck einzuknicken.

«Verzeihbarer Lapsus»

Der Zuger FDP-Ständerat Joachim Eder dagegen begrüsst den Entscheid seines Parteikollegen: «Ein Bundesrat muss jeden Anschein von Abhängigkeit vermeiden.» Und: «Deshalb ist es richtig, dass Cassis die Mitgliedschaft bei Pro Tell niederlegt.» Ihm sei wohl nicht bewusst gewesen, dass sein Beitritt negativ ausgelegt werden könne. «Ein Lapsus, der aufgrund der enormen Drucksituation während des Wahlkampfs verzeihbar ist.»

Im Umfeld der Schützen sieht man das naturgemäss anders. «So ein Feigling», schrieb ein Nutzer. Und ein anderer: «Wissenschaftliche Sensation: Erneut wurde ein wirbelloses Säugetier entdeckt.»