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Österreich

Auch Gespräche über eine Zweier-Koalition scheitern – Kanzler Nehammer kündigt Rücktritt an

Nach dem Ausstieg der Liberalen schaffen Konservative und Sozialdemokraten keine Einigung über eine Koalition zu zweit. Der konservative Regierungschef entschliesst sich zum Rückzug. Macht der damit die Bühne frei für die Rechtspopulisten?

Die Verhandlungen über eine Mitte-Regierung ohne die rechte FPÖ in Österreich sind gescheitert. Die konservative ÖVP habe ihre Gespräche mit der sozialdemokratischen SPÖ beendet, bestätigten Parteikreise. Zuvor hatte die Nachrichtenagentur APA über das Aus der Verhandlungen berichtet. «Eine Einigung ist in wesentlichen Kernmaterien nicht möglich», hiess es aus der Partei.

Österreichs Kanzler Karl Nehammer zieht die Konsequenzen aus den gescheiterten Verhandlungen.
Bild: Michael Buholzer / EPA

Erst am Freitag waren die liberalen Neos nach wochenlangem Ringen überraschend aus Verhandlungen mit ÖVP und SPÖ über eine Ampel-Koalition ausgestiegen. Danach setzten die zwei verbliebenen Parteien Gespräche am Samstagnachmittag fort. Bereits am Abend waren die Gespräche jedoch schon wieder zu Ende.

Die Verhandlungen der Mitte-Parteien waren auch ein Versuch, die rechte FPÖ nach ihrem Wahlsieg Ende September von der Macht fernzuhalten. ÖVP und SPÖ hätten im Parlament jedoch nur eine knappe Mehrheit von einer Stimme gehabt. SPÖ und ÖVP konnten in verschiedenen Bereichen nicht zueinanderfinden. Die SPÖ forderte unter anderem, dass der defizitäre Staatshaushalt auf den Schultern reicherer Bevölkerungsschichten saniert werden müsse; die ÖVP war strikt gegen zusätzliche Steuern.

«Destruktive Kräfte haben die Oberhand gewonnen»

Österreichs Kanzler Karl Nehammer zieht die Konsequenzen. Er will als Regierungschef und als Chef der konservativen ÖVP zurücktreten. Nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen werde er sich in den kommenden Tagen von diesen Posten zurückziehen, sagte er in einer Videobotschaft.

«Es ist augenscheinlich, dass die destruktiven Kräfte in der SPÖ die Oberhand gewonnen haben», sagte Nehammer zu dem Gesprächen. Die ÖVP werde keinem wirtschafts- und leistungsfeindlichen Programm zustimmen, betonte er. Gleichzeitig machte Nehammer klar, dass er weiterhin nicht bereit sei, mit der rechten FPÖ unter Herbert Kickl Koalitionsgespräche zu führen. «Es ist meine tiefe Überzeugung, dass Radikale für kein einziges Problem eine Lösung bieten», sagte Nehammer.

Der Wirtschaftsflügel seiner Partei bevorzugt hingegen eine Koalition mit der FPÖ statt mit der SPÖ. Die FPÖ hatte die Wahl im September gewonnen. Die drei Mitte-Parteien hatten danach versucht, eine Koalition zu schmieden und die Rechten von der Macht fernzuhalten.

SPÖ-Chef befürchtet nun «rechtsextremen» Kanzler Kickl

SPÖ-Chef Andreas Babler machte in einer Stellungnahme diese Kräfte unter den Konservativen für das Scheitern einer möglichen Grossen Koalition verantwortlich. «Jener Flügel hat sich durchgesetzt, der von Anfang an mit den Blauen geliebäugelt hat», sagte er unter Verweis auf die Parteifarbe der FPÖ. Jetzt drohe «ein rechtsextremer Kanzler», sagte Babler. Wer Nehammer nachfolgen wird, war vorerst ebenso unklar wie die Frage, ob die ÖVP nun als möglicher Juniorpartner mir der FPÖ verhandelt, oder ob Neuwahlen ausgerufen werden.

Gerüchte über Comeback von Sebastian Kurz

Österreichische Medien hatten in den vergangenen Tagen Ex-Kanzler Sebastian Kurz unter Berufung auf konservative Kreise als möglichen neuerlichen ÖVP-Chef ins Spiel gebracht. Kurz hatte von 2017 bis 2019 als Kanzler mit der FPÖ und danach mit den Grünen regiert. Wegen Korruptionsermittlungen gegen ihn zog er sich 2021 aus der Politik zurück. Die Untersuchungen zu den Vorwürfen, die Kurz bestreitet, laufen noch. Kurz hat sich zu den Gerüchten über ein mögliches Comeback noch nicht geäussert. Neben Kurz kursiert auch der Name der ehemaligen EU-Ministerin Karoline Edtstadler für die Nachfolge von Nehammer.

Meinungsforscher sehen FPÖ weiter im Aufwind

Nun liege der Ball bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen, sagte FPÖ-Chef Kickl mit Blick auf einen möglichen Regierungsauftrag, der ihm bisher verwehrt worden war. «Er ist nach den Ereignissen des heutigen Tages unter Zugzwang», sagte Kickl. Die FPÖ hatte die Wahl Ende September gewonnen. Die drei Mitte-Parteien hatten danach versucht, eine Koalition zu schmieden und die Rechten von der Macht fernzuhalten. Auch Van der Bellen hätte solch eine Regierung bevorzugt.

Sollte es zu Neuwahlen kommen, könnte die rechtspopulistische FPÖ auf einen fulminanten Sieg hoffen. Letzte Umfragen signalisierten ein weiteres grosses Stimmen-Plus im Vergleich zur Nationalratswahl. Danach könnte die FPÖ ihr Ergebnis von 29 Prozent noch einmal deutlich auf rund 35 Prozent steigern. (dpa)