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Ausschaffungen

Am Schluss entscheidet doch die Höhe der Strafe

Wie wird die SVP-Initiative nun umgesetzt? Es zeichnet sich eine Lösung ab, die dem abgelehnten Gegenvorschlag nahe kommt.

Muss die junge Ausländerin in ihre Heimat zurück, weil sie eine CD gegen ein wenig Cannabis getauscht hat? Und was passiert mit dem Ausländer, der in eine Alphütte einbricht und drei Landjäger klaut? Diese Beispiele gaben im Abstimmungskampf zu reden. Denn streng nach dem Text der SVP-Ausschaffungsinitiative müssten die Richter die beiden Täter eigentlich ausweisen. Auch wenn es sich um Bagatellfälle handelt.

Jetzt hat das Volk Ja gesagt zur Initiative - und doch ist offen, ob solche Kleinkriminelle die Schweiz künftig verlassen müssen oder nicht. Denn die Richter dürfen den Initiativtext nicht direkt anwenden, sondern müssen das Gesetz abwarten, das die Einzelheiten regelt. Dafür will Bundesrätin Simonetta Sommaruga noch vor Weihnachten eine Arbeitsgruppe einsetzen, in der auch die SVP vertreten ist. Die Gruppe soll einen Vorschlag ausarbeiten, der möglichst gut mit Völkerrecht und Verfassung vereinbar ist. Danach wird das Parlament entscheiden, welche Straftaten tatsächlich zur Ausschaffung führen.

Hört man sich bei den Parteien um, so zeichnet sich dabei eine erstaunliche Lösung ab: «Am Schluss werden wir ein Gesetz haben, das nahe am Gegenvorschlag ist, den das Volk nun abgelehnt hat», ist CVP-Sprecherin Marianne Binder überzeugt. Im Gegensatz zur SVP-Initiative, die schwere Verbrechen mit den erwähnten Bagatellen vermischt, ging der Gegenvorschlag von einem Mindeststrafmass aus, das für eine Ausschaffung nötig ist. Ins gleiche Horn stösst auch FDP-Fraktionschefin Gabi Huber: «Bei der Umsetzung wird uns der Gegenvorschlag als Richtschnur dienen.» Denn dieser ist mit dem Völkerrecht vereinbar und gefährdet auch die Personenfreizügigkeit mit der EU nicht.

Ausschaffung trotz tiefer Strafe

Noch erstaunlicher aber ist: Die SVP wehrt sich nicht dagegen, dass am Schluss wichtig ist, wie schwer eine Strafe ist - und nicht, für welches Delikt diese verhängt wird. «Von uns aus kann man die Ausschaffung bei gewissen Delikten von der Höhe der Strafe abhängig machen», sagt SVP-Nationalrat Adrian Amstutz. Er ist auch einverstanden, wie im Gegenvorschlag Wirtschaftsdelikte als Ausschaffungsgrund aufzuführen.

Allerdings will Amstutz die Strafe, die zur Ausschaffung führt, tief ansetzen: «Es muss sicher niemand die Schweiz verlassen, weil er eine CD gegen ein wenig Cannabis tauscht. Aber die Kügelidealer aus Nigeria müssen wir ausschaffen können.» Auch beim Sozialhilfebetrug lehnt es Amstutz nicht mehr ab, Betrüger erst ab einer gewissen Strafhöhe auszuweisen. Diese müsse aber ebenfalls tief liegen: «Die 18 Monate Gefängnis des Gegenvorschlages sind viel zu hoch angesetzt», sagt Amstutz.

Und doch: Was nach einer schnellen Einigung zwischen SVP und Mitte-Parteien aussieht, könnte täuschen. Denn alle Beteiligten schauen genau darauf, dass sie nicht über den Tisch gezogen werden. «Die SVP soll ja nicht hinterher behaupten, das Parlament habe bei der Umsetzung der Initiative den Volkswillen missachtet», warnt CVP-Sprecherin Binder. Auf der anderen Seite meint Amstutz: «Wir sind bereit, bei der Umsetzung konstruktiv mitzuarbeiten. Aber wir müssen uns einbringen können und wollen nicht zum Feigenblatt werden.»

Solche Initiativen verbieten?

Darüber hinaus könnte die Ausschaffungsinitiative durchaus langfristige Folgen haben. Denn nach der Verwahrungs- und der Anti-Minarett-Initiative hat das Volk zum dritten Mal ein Volksbegehren angenommen, das Konflikte mit dem Völkerrecht und der übrigen Verfassung bringt. «Es ist wichtig, dass man sich darüber nun grundsätzliche Gedanken macht», sagte Bundesrätin Sommaruga gestern. Sie gehe davon aus, dass das Parlament diese Frage bereits nächstes Jahr diskutiere.

Für alt Bundesrichter Giusep Nay ist dieses Dilemma im vorliegenden Fall nicht lösbar. Entweder werde das Völkerrecht oder der Volkswille verletzt. «Da kommt man als Jurist nicht mehr weiter», so Nay. «Rechtsstaat und Demokratie kann man nur schützen, indem solche Initiativen nicht zur Abstimmung zugelassen werden.»