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Deutschland

AKW-Frage: Bundeskanzler spricht Machtwort

Die letzten drei deutschen Atomkraftwerke sollen gut 100 Tage länger in Betrieb bleiben als ursprünglich geplant. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte am Dienstag in Berlin, dass sie noch bis Mitte April laufen sollen.
Bild: Keystone/dpa/Sina Schuldt

Damit setzte der Regierungschef unter Einsatz seiner Richtlinienkompetenz einem Streit zwischen den Koalitionspartnern der regierenden "Ampel"-Koalition ein Ende. Die Liberalen hatten einen längeren Betrieb gefordert als die Grünen zuzugestehen bereit waren.

Deutschland hatte 2011 nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima 8 der damals 17 Atomkraftwerke sofort stillgelegt und für die übrigen 9 die Restlaufzeiten gesetzlich festgeschrieben. Die Kernkraftwerke Isar 2 (Bayern), Neckarwestheim 2 (Baden-Württemberg) und Emsland (Niedersachsen) sollten zum 31. Dezember 2022 als letzte drei vom Netz gehen.

In ihrem Koalitionsvertrag von 2021 hatten SPD, FDP und Grüne noch festgeschrieben, am Atomausstieg nicht rütteln zu wollen. Die Lage änderte sich mit dem Ukrainekrieg und dem Wegfall der russischen Erdgaslieferungen. Die drei AKW steuern immerhin rund sechs Prozent zur deutschen Stromerzeugung bei und sollen nun helfen, den bevorstehenden Winter zu überbrücken.

Die FDP (Liberale) hatte gefordert, alle drei Atomkraftwerke wenigstens bis 2024 laufen zu lassen. Die Grünen wollten hingegen nur Isar 2 und Neckarwestheim 2 bis zum 15. April in Reserve halten und bei Bedarf weiter für die Stromerzeugung nutzen. Emsland sollte zum Jahreswechsel endgültig abgeschaltet werden. Diese Linie hatte auch der Grünen-Bundesparteitag in Bonn am Wochenende bestätigt. Dass nun auch Emsland bis April laufen soll, gilt als Zugeständnis an die FDP.

Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist geregelt, dass der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin die Richtlinien der Politik bestimmt und dafür die Verantwortung trägt. Darunter fallen die groben politischen Leitlinien und Richtungsentscheidungen, aber auch bedeutende Einzelfälle. Über dieses Kanzlerprinzip kann der Regierungschef einem Minister Weisungen erteilen.

Über den nun erwarteten Gesetzentwurf zur Änderung des Atomgesetzes muss der Bundestag abstimmen, was Anfang November geschehen dürfte. Es gilt als ausgeschlossen, dass die grünen Parlamentarier ausscheren, denn das würde die Regierung Scholz zu Fall bringen. Gleichwohl zeigte sich die Grüne Jugend am Dienstag erbost über Scholz' Entscheidung und warf dem Kanzler "Basta-Politik" vor. Grünen-Parteichef Omid Nouripour sagte aber, Scholz' Entscheidung sei zu akzeptieren.

Führende Vertreter der oppositionellen Christdemokraten wiederum kritisierten die Entscheidung des Kanzlers als unzureichend. CDU und CSU wollen einen Weiterbetrieb bis mindestens 2024.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) begrüsste die Entscheidung des Kanzlers mit Vorbehalten. Sie sei angesichts der schweren Energiekrise richtig und überfällig, erklärte der BDI am Dienstag. Es müsse aber abhängig von der Versorgungs- und Preislage im Frühjahr 2023 "offen und sachlich diskutiert werden", ob ein Weiterlaufen der Kernkraftwerke über den April hinaus notwendig werde. (sda/dpa)