Das Wichtigste in Kürze
Die neuen Verträge zwischen der Schweiz und der EU sind am Freitag veröffentlicht worden.
Bis Oktober können alle betroffenen und interessierten Kreise zum Vertragspaket Stellung beziehen. Dieses umfasst zig Verträge von insgesamt 1889 Seiten. Das Vertragspaket betrifft 95 Gesetze der EU. Zudem müssten 32 Schweizer Gesetze angepasst und drei Gesetze neu geschaffen werden.
Cassis verspricht: Sicherheit, Wohlstand und Unabhängigkeit der Schweiz seien garantiert.
Das steht in den Verträgen.
17:40 Uhr
Freitag, 13. Juni
Das wars!
Nach gut 90 Minuten ist die Medienkonferenz beendet - zumindest jener Teil über die EU. Lesen Sie weiter unten, welche Elemente das Vertragspaket genau enthält und was die Knackpunkte sind.
17:06 Uhr
Freitag, 13. Juni
Folgen für die Sozialhilfe
Der Bundesrat rechnet damit, dass mit den neuen Regeln betreffend Personenfreizügigkeit höchstens 4000 Menschen mehr pro Jahr Anspruch auf Sozialhilfe haben. Doch wie verlässlich sind diese Zahlen?
Es handle sich um eine seriöse Studie, sagt Mascioli. Aber natürlich gebe es keine Garantie, dass die Annahme so eintreffen werde. Es sei die erste Studie in diesem Bereich.
16:49 Uhr
Freitag, 13. Juni
Vergleich zum Rahmenabkommen
Ein «riesiger Unterschied» zwischen dem Rahmenabkommen, zu dem der Bundesrat 2021 die Verhandlungen abgebrochen hat, und dem heutigen Vertragspaket sei, dass man beim Rahmenabkommen praktisch nur aussenpolitisch tätig gewesen sei, sagt Cassis. «Die ganze innenpolitische Arbeit hat man nicht gemacht», sagt er.
16:43 Uhr
Freitag, 13. Juni
Was passiert in der Übergangsfrist?
Auf Nachfrage erklärt Cassis, dass nun Übergangsregelungen vorgesehen seien, bis das neue Vertragswerk in Kraft tritt. Diese sollen am 24. Juni verabschiedet werden. Man habe vereinbart, die Zusammenarbeit in dieser Phase dort zu intensivieren, wo es im gemeinsamen Interesse sei, erläutert Franzen. Man wolle eng zusammenarbeiten, um das gute Bestehen der bisherigen Abkommen sicherstellen.
16:33 Uhr
Freitag, 13. Juni
Cassis kontert Köppel
Nun beginnt die Fragerunde. Thema ist die Schutzklausel. Soll der Bundesrat die Schutzklausel auch bei ökologischen Problemen ausrufen können? Cassis stellt klar: Nein. Es gehe nur um negative volkswirtschaftliche und soziale Auswirkungen der Personenfreizügigkeit.
Roger Köppel, «Weltwoche»-Verleger und ehemaliger SVP-Nationalrat, will wissen, ob Cassis ein anderes Land kenne, das Gesetze von einem anderen Land übernehmen müsse und bestraft werde, wenn es das nicht tue. Cassis schmunzelt und sagt, er könne die Frage nicht beantworten, weil sie von falschen Prämissen ausgehe. Die Schweiz sei nicht gezwungen, diese Verträge abzuschliessen. Wenn man als Privatperson einen Vertrag abschliesse, könne man bei Verletzung auch bestraft werden. Das sei zwischen Staaten genauso. «Das ist Völkerrecht.»
16:28 Uhr
Freitag, 13. Juni
32 Gesetzesänderungen und 3 neue Gesetze
EDA-Staatssekretär Alexandre Fasel äussert sich noch generell zum Vertrag und seinem Umfang. Das Paket, das der Bundesrat heute in die Vernehmlassung geschickt hat, umfasse einerseits alle Verträge mit der EU, aber auch innenpolitische Umsetzungs- und Begleitmassnahmen. Bei den Umsetzungsmassnahmen handle es sich um Gesetzesanpassungen, die für die Umsetzung des EU-Vertragswerks nötig sind. Dazu gebe es noch Begleitmassnahmen, die nicht rechtlich notwendig sind, aber die vom Bundesrat aus einer innenpolitischen Perspektive als opportun betrachtet würden.
Das Vertragspaket betreffe 95 Gesetzesakte der EU. Zudem müssten 32 Schweizer Gesetze angepasst werden und drei neue Gesetze würden geschaffen.
16:27 Uhr
Freitag, 13. Juni
Stromabkommen: «Wichtiger Beitrag zur Stärkung der Versorgungssicherheit»
Schliesslich äussert sich der Direktor des Bundesamts für Energie, Benoît Revaz zum Stromabkommen. Es sei ein wichtiger Beitrag zur Stärkung der Versorgungssicherheit und gebe den Schweizer Akteuren Zugang zum europäischen Markt.
Das Verhandlungsergebnis sei vorteilhaft für die Schweiz. Man habe Ausnahmen und substanzielle Präzisierungen aushandeln können.
16:22 Uhr
Freitag, 13. Juni
«Zuwanderung aus EU bleibt arbeitsmarktorientiert»
Vincenzo Mascioli, Chef des Staatssekretariats für Migration, geht nun auf die Steuerung der Zuwanderung ein. Man habe folgende Prinzipien aushandeln können: Die Zuwanderung aus der EU bleibe arbeitsmarktorientiert. Nur wer über einen Job oder genügend Geld verfügt, darf in die Schweiz ziehen. Wer seine Arbeit verliert, sei verpflichtet, eine Stelle zu suchen. Sonst kann das Aufenthaltsrecht entzogen werden.
«Die Schweiz übernimmt die Unionsbürgerrichtlinie nur teilweise», stellt Mascioli klar. Das Daueraufenthaltsrecht werde an die Erwerbstätigkeit geknüpft. Zudem habe man eine konkretisierte Schutzklausel aushandeln können.
16:17 Uhr
Freitag, 13. Juni
Verhandlungen seien hart gewesen
Nun spricht Patric Franzen, der Chefunterhändler der Schweiz. Man habe sich in den Verhandlungen nichts geschenkt, betont er. «Wir konnten die bestehenden Ausnahmen absichern und wichtige neue Ausnahmen verhandeln», sagt er.
Helene Budliger Artieda, Chefin des Seco, sagt, dass sich auch in den innenpolitischen Verhandlungen niemand etwas geschenkt habe. Bezüglich Lohnschutz werde man 14 Massnahmen in die Vernehmlassung schicken. Die Schweiz werde weiterhin aufs Prinzip «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» setzen und die Umsetzung würden wie bisher von tripartiten Kommissionen kontrolliert. Zudem sei es gelungen abzusichern, dass sich der Lohnschutz nicht verschlechtern wird.
Schon seit Anfang Jahr könnten Schweizer Forschende dank einer Übergangsregelung wieder an Forschungsprogrammen teilnahmen. Das sei ein wichtiger Fortschritt.
16:16 Uhr
Freitag, 13. Juni
So geht es weiter
Nun haben Kantone, Verbände, Sozialpartner und weitere betroffene Kreise bis Oktober Zeit, Stellung zum Paket zu beziehen. Im ersten Quartal 2026 soll das Paket dann ins Parlament gehen.
16:06 Uhr
Freitag, 13. Juni
Mehr Sicherheit, Wohlstand, Unabhängigkeit
Beim Paket handle es sich nicht um eine Kursänderung der Schweizer Aussenpolitik. Vielmehr sei es notwendig, um die Beziehungen zur EU beizubehalten und weiterzuentwickeln.
Drei wichtige Dimensionen spricht Cassis an:
- Sicherheit: «Die Welt verändert sich rasant, Instabilität ist zur neuen Normalität geworden», sagt Cassis. Ein dauerhafter Frieden auf dem europäischen Kontinent bleibe in weiter Ferne. Auf diese geopolitischen Verschiebungen müsse die Schweiz reagieren.
Verlässliche und klar geregelte Beziehungen zu Partnern seien von strategischer Bedeutung. Indem man die Beziehungen mit der EU festlege, erhöhe man die Sicherheit. Auch die neuen Abkommen leisteten einen Beitrag: Das Stromabkommen beispielsweise erhöhe die Versorgungssicherheit.
- Wohlstand: Die Schweiz als exportorientierte Wirtschaft mit kleinem Binnenmarkt sei ein Zugang zu anderen Märkten zentral, das gelte vor allem für den EU-Binnenmarkt.
Cassis sagt aber auch: «Selbstverständlich bleiben auch unsere Beziehungen zu USA und China zentral.» Auch diese Beziehungen müssten stabilisiert werden. Auch der Zugang zu europäischen Forschungsprogrammen werde wieder hergestellt und langfristig gesichert. «Das stärkt unsere Wettbewerbsfähigkeit.»
Cassis erwähnt mehrere vom Bundesrat in Auftrag gegebene Studien. Diese zeigten klar: Ohne Stabilisierung der bilateralen Beziehungen drohten der Schweiz Wohlstandsverluste. Eine Studie prognostiziert ein um 4,9 tieferes Bruttoinlandprodukt im Jahr 2045. Auch das Stromabkommen bringe klare Vorteile, wie Untersuchungen zeigten. Das Paket schaffe Investitionssicherheit für Unternehmen und schaffe Zugang zu Fachkräften.
- Unabhängigkeit: Die Verträge schafften Rechtssicherheit und würden Handlungsspielraum geben. Ziel sei eine Teilnahme am Binnenmarkt ohne automatische Rechtsübernahme. «Parlament und Volk behalten das letzte Wort.» Ein Gewinn sei die Schutzklausel zur Zuwanderung, weil sie ermögliche, die Personenfreizügigkeit gezielt zu steuern, ohne das ganze Abkommenspaket zu gefährden. Insgesamt werde die Souveränität der Schweiz gestärkt. In einer Welt wachsender Unsicherheit sei das zentral.
16:03 Uhr
Freitag, 13. Juni
Bundesrat hat Vertragspaket heute gutgeheissen
Nun aber zum Thema der Medienkonferenz: dem Vertragspaket mit dem EU. Cassis wirft einen Blick zurück. Ende Jahr waren die Verträge unterzeichnet worden. Seither habe man die Verträge ratifiziert und sie übersetzt.
In den vergangenen Monaten habe man zudem verschiedene Beschlüsse gefasst, zum Beispiel in Sachen Lohnschutz, Strom und Migration. Sechs der sieben Departemente seien in die Arbeiten involviert.
Heute nun habe der Bundesrat das gesamte Paket gutgeheissen und in die Vernehmlassung geschickt. Die Verträge hätten einen positiven volkswirtschaftlichen Effekt auf die Schweiz, sagt Cassis.
16:01 Uhr
Freitag, 13. Juni
Start der Medienkonferenz
Die Medienkonferenz beginnt. Zu Beginn informiert Bundesratssprecherin Ursula Eggenberger, dass sich der Bundesrat sich heute auch über den Besuch von Cassis in Israel und Palästina habe informieren lassen. Nachher beantworte er dazu noch Fragen.
15:49 Uhr
Freitag, 13. Juni
Medienkonferenz beginnt um 16 Uhr
Anwesend sind:
Aussenminister Ignazio Cassis
Alexandre Fasel, Staatssekretär im Aussendepartement (EDA)
Chefunterhändler Patric Franzen
Vincenzo Mascioli, Staatssekretär für Migration
Helene Budliger Artieda, Staatssekretärin und Direktorin des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco)
Benoît Revaz, Direktor des Bundesamts für Energie
Das Vertragswerk mit der EU
Worum es geht
Ausgehandelt sind die neuen Verträge mit der EU bereits seit Ende Jahr. Doch öffentlich waren sie bisher nicht. Nun, nachdem die Verträge ratifiziert und übersetzt sind und die Regierung innenpolitische Begleitmassnahmen verabschiedet hat, lüftet der Bundesrat das Geheimnis. Am Freitag hat er das über 1800 Seiten dicke Vertragspaket veröffentlicht. Allein der erläuternde Bericht des Bundesrats, in dem er das Paket erklärt, umfasst 931 Seiten.
Das umfasst das Vertragspaket
Es besteht aus mehreren Elementen:
Neue Abkommen in drei Bereichen: Strom, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit
Neue institutionelle Regeln: Diese legen beispielsweise fest, wie die Verträge aktualisiert werden (dynamische Rechtsübernahme) und wie das Vorgehen im Streitfall ist. Statt wie einst vorgesehen in einem Rahmenabkommen, werden diese Fragen nun in jedem Abkommen einzeln geklärt.
Personenfreizügigkeit: Das Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU wird ergänzt. Die Schweiz übernimmt die sogenannte Unionsbürgerrichtlinie der EU, aber mit einigen Ausnahmen und Absicherungen. Diese regelt beispielsweise den Aufenthalt von EU-Bürgern, die ihren Job verloren haben, und baut den Zugang zur Sozialhilfe aus. Die Schweiz hat aber Ausnahmen ausgehandelt. So kann sie beispielsweise weiterhin verurteilte ausländische Straftäter ausweisen.
Schutzklausel: Im Freizügigkeitsabkommen wird die bestehende Schutzklausel zur Zuwanderung konkretisiert: Bei sehr starker Zunahme der Zuwanderung aus der EU in kurzer Zeit kann die Schweiz Gegenmassnahmen ergreifen. Neue Gesetzesbestimmungen sollen regeln, unter welchen Bedingungen die Schweiz die Personenfreizügigkeit mit der EU tatsächlich einschränken kann.
Lohnschutz: Die Schweiz hat zudem den Lohnschutz vertraglich abgesichert. Lockert die EU den Lohnschutz in ihren Mitgliedstaaten, muss das die Schweiz nicht übernehmen. Daneben hat der Bundesrat mit den Sozialpartnern und den Kantonen ein Massnahmenpaket geschnürt. Dieses soll gewisse Lockerungen, die die bilateralen Verträge vorsehen (zum Beispiel eine kürzere Voranmeldefrist für ausländische Arbeitskräfte oder die umstrittene Spesenregelung), innenpolitisch abfedern.
Kohäsionsbeitrag der Schweiz an die EU: Seit 2007 überweist die Schweiz der EU Gelder – total bisher 2,6 Milliarden Franken. Damit werden Projekte in wirtschaftlich schwächeren EU-Mitgliedstaaten finanziert. Neu wird ein Mechanismus für regelmässige Schweizer Beiträge geschaffen. Der erste Beitrag für 2030 bis 2036 beträgt 350 Millionen Franken pro Jahr – deutlich mehr als bisher also.
Weitere Elemente: Unter anderem neue Regeln für staatliche Beihilfen und ein Rechtsrahmen, der der Schweiz die Teilnahme am Forschungsprogramm Horizon, dem Studentenaustauschprogramm Erasmus und anderen EU-Programmen sichert. Ausserdem will der Bundesrat den politischen Austausch mit der EU stärken.
Die umstrittensten Punkte
Dynamische Rechtsübernahme: Die Schweiz sichert der EU zu, neues EU-Recht im Bereich der bilateralen Verträge «dynamisch» zu übernehmen: Gesetzesänderungen erfolgen nicht automatisch, sondern im normalen Prozess mit parlamentarischer Beratung und allenfalls Volksabstimmung. Die Verpflichtung, neue EU-Gesetze anzunehmen, stösst dennoch auf heftige Kritik in der Schweiz.
Ausgleichsmassnahmen: Sagt das Schweizer Volk Nein zur Übernahme von neuem EU-Recht, kann die EU Ausgleichsmassnahmen ergreifen. Diese müssen verhältnismässig sein und können beim paritätischen Schiedsgericht angefochten werden. Kritiker sagen, die Androhung von Ausgleichsmassnahmen beschränke die Abstimmungsfreiheit in der Schweiz.
Stromabkommen: Der neue Vertrag soll der Schweiz einen besseren Zugang zum EU-Strommarkt ermöglichen und damit die Versorgungssicherheit stärken. Damit verbunden ist die Öffnung des Strommarkts: Neu sollen Privatkunden ihren Stromanbieter frei wählen können, wenn sie wollen. Anders als die beiden anderen neuen Abkommen zu Gesundheit und Lebensmittelsicherheit ist das Stromabkommen höchst umstritten. Während der Bundesrat mit tieferen Stromkosten rechnet, warnt Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard, dass der Strom mit dem Abkommen langfristig teurer werde. Andere befürchten einen Verlust von Souveränität. Bereits wird im Parlament diskutiert, ob das Stromabkommen vom EU-Paket abgekoppelt werden soll.
Wie es nun weitergeht
Kantone, Verbände, ja alle interessierten Kreise werden nun Gelegenheit haben, Stellung zum Vertragspaket zu beziehen. Anschliessend wird das Parlament darüber beraten.
Am Ende wird es zur Volksabstimmung kommen. Das ganze Paket soll in vier Teile gesplittet an die Urne kommen: ein Teil ist das Stabilisierungspaket (institutionelle Fragen), die anderen drei die neuen Abkommen in den Bereichen Strom, Lebensmittelsicherheit und Gesundheit. Zu den vier Beschlüssen gehören auch die jeweiligen innenpolitischen Umsetzungsmassnahmen.
Noch unklar ist, ob es für eine Annahme ein einfaches (Volk) oder ein doppeltes Mehr (Volk und Stände) braucht. Der Bundesrat hat bereits klargemacht, dass aus seiner Sicht ein fakultatives Referendum ausreicht – das Ständemehr also nicht nötig ist. Doch auch in dieser Frage ist das letzte Wort längst nicht gesprochen.