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Schweiz

Während in den Spitälern alles für die Coronapatienten vorbereitet wird, müssen andere medizinische Bereiche Kurzarbeit beantragen

Das Corona-Paradox der Ärzte. Sechs Fragen und Antworten.
Wegen der Coronakrise müssen andere Behandlungen verschoben werden. (Bild: Getty)

Bruno Knellwolf

Im Moment fokussiert sich das Gesundheitswesen in der Schweiz ganz auf die Bewältigung der Coronakrise. Spezialisten wie Zahnärzte, Chirurgen und Hautärzte sind in ihrer Arbeit massiv eingeschränkt. Sogenannte Wahleingriffe, also Operationen, die nicht unbedingt sofort gemacht werden müssen, wie zum Beispiel eine Hüft-Operation werden verschoben.

Das führt zur grotesken Situation, das zum einen eine Überlastung der Spitäler befürchtet wird, zum anderen Spitäler Kurzarbeit beantragen. Die Praxen von Therapeuten und Hausärzten bleiben auch leer, weil Patienten aus Furcht vor Ansteckung auf die Untersuchung oder Behandlung verzichten.

Haben viele Spitäler Kurzarbeit eingereicht?

Der Vergleichsdienst Comparis hat noch keinen Überblick über die Spitäler in der Schweiz, erklärt aber, dass neben den meisten Privatspitälern, insbesondere die beiden grössten Gruppen Hirslanden und Swiss Medical Network, auch öffentliche Spitäler wie zum Beispiel das Kantonsspital Aarau oder jenes in Uri Kurzarbeit haben. Basel-Stadt prüft diese Massnahme und das Kantonsspital St.Gallen wird Antrag auf Kurzarbeit stellen.

Dort zeigt sich beispielhaft, dass der Betrieb in den stationären und ambulanten Bereichen massiv reduziert ist. Viele Bereiche haben aufgrund der Reduktionen aktuell nur eine sehr geringe Auslastung, zum Beispiel Orthopädie, Anästhesie und Radiologie. Medizinisch zwingend notwendige Behandlungen sind aber nicht betroffen. Auch die Geburtshilfe hat selbstverständlich Normalbetrieb.

Primäres Ziel war und ist es, die Intensivstationen, den Notfall und die medizinischen Stationen zu entlasten und für die Betreuung von COVID-19-Patienten vorzubereiten. Als Beispiel: St.Gallen hat aktuell 27 bestätigte COVID-Patienten auf den Bettenstationen und acht auf den Intensivstationen.

Melden Hausärzte Kurzarbeit an?

Ja, das gibt es, weil die Auslastung tief ist. Ein Beispiel eines Hausarzt-Alltags: Der Präsident des Verbands Haus- und Kinderärzte Schweiz, Philippe Luchsinger, Hausarzt in Affoltern am Albis, der selbst keine Kurzarbeit angemeldet hat, hat in seiner Praxis aktuell 50 Prozent der üblichen Konsultationen.

Dazu kommt allerdings ein deutlicher Mehraufwand für die Praxisorganisation – für den Schutz der Patienten und Mitarbeitenden. Bei den Hausärzten verlagert sich die Betreuung zum Teil, sie machen nun wesentlich mehr telefonische Beratungen.

Haben die Hausärzte weniger zu tun, weil sich Menschen wegen Bagatellfällen nicht mehr melden und weniger Unfälle geschehen?

Beides ist richtig, sagt der Hausärzteverband. Die Leute schauen zuerst, wie sie das Problem selber lösen können. Es gibt zudem weniger Unfälle, weil die Leute weniger exponiert sind, weniger Sport, vor allem keine Kontakt- und Mannschaftssportarten betreiben.

Allerdings ist gemäss dem Verband auch ein Rückgang an Schlaganfällen und Herzinfarkten zu verzeichnen. Der Grund ist völlig unklar.

Die deutsche Schlaganfall-Gesellschaft meldet, dass sich immer weniger Menschen beim Arzt melden, die Symptome eines Schlaganfalls oder eines Herzinfarkts haben. Das bestätigt auch die Berliner Charité.

Die Berliner Berichte decken sich mit Beobachtungen in der Schweiz, sagt Mirjam Rüdiger von Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie. Auch bei bei der Schlaganfallbehandlung ist das fatal, weil jede Minute des Zögerns das Risiko erhöht, dass der Patient stirbt oder dauerhafte Beeinträchtigungen wie Lähmungen oder Sprach- und Verständnisstörungen eintreten.

Der Vorstand der Schweizerischen Hirnschlaggesellschaft (SHG) hat heute aggregierte Daten von sieb en von insgesamt zehn Stroke Centers in der Schweiz analysiert. Verglichen zu den Monaten vor dem Lockdown hat die Anzahl der Patienten mit akutem Schlaganfall oder transitorischer ischämischer Attacke (TIA), temporäre Durchblutungsstörungen im Gehirn, schweizweit um durchschnittlich 21.4 Prozent abgenommen. Die Ursachen dieser Abnahme sind aktuell noch unklar.

Wie sieht es bei der Krebsvorsorge und Tumoroperationen aus?

Laufende Tumorbehandlungen, Abklärungen von klarem Tumorverdacht, Notfälle, deren Verschiebung Nachteile für die Patienten mit sich bringen würden, sind nicht betroffen. Verschoben werden die regelmässigen Routinekontrollen und Nachkontrollen, welche nicht zeitnah notwendig sind.

Das sich Patientinnen, die ein Symptom bemerkt haben, wegen der Corona-Angst nicht melden, ist dem Onkologen Thomas Cerny von der Krebsliga Schweiz nicht bekannt Die Krebsvorsorge selbst kann gemäss Cerny sehr wohl, wie zum Beispiel in den Mammografieprogrammen, einige Monate unterbrochen werden, ohne dass dabei ein signifikanter Schaden erwartet werden muss.

Die Onkologen gehen davon aus, dass solche Programme bald wieder aufgenommen werden können mit den entsprechenden Vorsichtsmassnahmen.

Befürchtet werden psychische Probleme durch die Isolation. Haben Psychiater schon mehr Arbeit?

Es gibt Patienten, die eine psychiatrische Abklärung oder Behandlung derzeit ablehnen, weil sie sehr starke Angst haben sich anzustecken. Eine Nachfrage bei einigen Psychiatern zeigt, dass bisher die Anfragen wegen der Coronakrise nach psychiatrischer ambulanter Therapie noch nicht zugenommen haben. Dies ist auch noch nicht zu erwarten.

Die Isolationssituation wird sich, je nach Dauer, erst über die nächsten Wochen bis Monate auf die Praxen durchschlagen. Wenn beispielsweise die Arbeitslosigkeit ansteigt, macht sich dies auch bei den depressiven Störungen anzahlmässig und von der Schwere her bemerkbar.