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Schweiz

Totalabsturz in den Berggebieten: «Es wird blutige Weihnachten geben»

Die Schweizer Tourismusverbände schlagen Alarm: Viele Betriebe werden den Sommer nicht überstehen. Das könnte zu einem völligen Strukturwandel führen – besonders in den Randregionen.
Viele Seilbahnen stehen vor dem wirtschaftlichen Ruin. (Keystone)

Peter Walthard

Die Pandemie stellt viele Tourismusregionen vor ein schier unlösbares Problem: Geht es nach dem Bundesrat sollen Schweizer diesen Sommer in der Schweiz Ferien machen. Andererseits wiederholt er immer wieder die Devise, dass die Menschen zuhause bleiben und keine unnötigen Reisen mit dem öffentlichen Verkehr unternehmen sollen.

Noch immer wissen die Seilbahnbetreiber nicht, ob und wann sie den Betrieb aufnehmen können. Dabei müssten sie jetzt Personal einstellen, in Werbung investieren, neue Konzepte entwickeln. Und an jedem Tag, den sie mit Warten verbringen, fressen die Fixkosten weiter an der Substanz. Hans Wicki, Präsident Seilbahnen Schweiz und Nidwaldner FDP-Ständerat, wählt drastische Worte: «Es wird blutige Weihnachten geben.»

Drohende Konkurswelle

Eine am Freitag publizierte Umfrage der Branchenverbände zeichnet ein düsteres Bild des Schweizer Tourismus. 3200 Betriebe sind in ihrer Existenz bedroht, 30'000 Arbeitsplätze gefährdet. Das Fazit: «Es droht eine Konkurswelle». Mittendrin: Die Seilbahnen.

An ihnen hängen ganze Regionen. Zuallererst die Hotellerie und die Gastrobetriebe, dann die Zulieferer: Bäcker, Metzger, Landwirtschaftsbetriebe. Letztere überleben gerade im Berggebiet oft nur mit einem Zusatzeinkommen: Bauer und Bäuerinnen arbeiten nebenher im Service oder bei der Seilbahn. «Es geht um ganze Wertschöpfungsketten», sagt Wicki.

Der FDP-Politiker fürchtet, dass es in vielen Tourismusregionen zum totalen Strukturwandel kommt. Der sähe so aus: Die kleinen lokalen Betriebe machen Konkurs. Wo es sich lohnt, werden Tourismusbetriebe unter Wert verkauft. Wo es sich nicht lohnt, bleiben Anlagen und Gasthäuser zu. In vielen Randregionen käme das Wirtschaftsleben zum Erliegen. «Wenn das geschieht, sieht es in vielen Tourismusregionen ganz anders aus,» sagt Wicki.

Abstandsregeln lassen sich gut einhalten

Er weibelt deswegen seit Tagen in Bern. Der Bund müsse handeln, ist er überzeugt. Denn gerade in Seilbahnen seien die Abstandsregeln sehr gut einzuhalten: Jedes Unternehmen könne schliesslich ganz einfach definieren, wie viele Leute man in eine Gondel lasse. Bislang beisst er auf Granit. «Bundesrat Berset denkt rein epidemiologisch,» sagt Wicki. Es sei schwierig, zu vermitteln, dass es beim Tourismus nicht einfach um Partikularinteressen gehe, sondern um den Erhalt ganzer regionaler Wertschöpfungsketten.

Selbst wenn der Bund den Seilbahnen bald grünes Licht geben sollte, bleibt ein Problem. «Man kann den Leuten nicht sagen, sie sollen zuhause bleiben und gleichzeitig den Tourismus ankurbeln», sagt Wicki. Sekundiert wird er von Nicolo Paganini, Präsident des Schweizer Tourismus-Verbandes. Soll der Sommertourismus in Fahrt kommen, müsse die Botschaft «bleiben Sie zuhause» ersetzt werden durch einen Aufruf zu verantwortungsbewusstem Reisen.

Er hofft auf Hilfe von der Tourismusförderung des Bundes, Schweiz Tourismus. Mit einem geschickten Marketing liessen sich die Besucherströme lenken. So könne man unbekanntere Destinationen im Inland populärer machen und Tipps zur sicheren und smarten Anreise geben. Sonst gehen alle zur gleichen Zeit an Hotspots wie den Seealpsee, sagt Paganini. Dieser war in die Schlagzeilen geraten, weil dort die Polizei gegen Horden von Sonntagsausflüglern vorgehen musste.

Die Touristiker sind sich einig: Gelingt es nicht, die Schweizer in die inländischen Tourismusorte zu bringen, wird die Branche umgepflügt. In einer Mitteilung zur Studie stellen sie deshalb klare Forderungen: Die Notkredite sollen zinsfrei sein oder nicht zurückbezahlt werden müssen. Und der Bund soll den Tourismus bei der Mehrwertsteuer entlasten.

So oder so stehen viele Unternehmer diesen Sommer vor einer schwierigen Entscheidung. Sollen sie die Betriebe überhaupt aufmachen, wenn sie nur zu einem Bruchteil ausgelastet werden können? Oder für eine Saison schliessen, und sich eine andere Arbeit suchen? Diese Entscheidung müsse jedes Unternehmen für sich treffen, sagt Wicki. So oder so: «Es wird brutal hart.»