In der Schweiz zeigt sich ein Röstigraben in der Literatur in diesem Jahr besonders appetitlich: Auf der einen Seite finden sich Autoren wie Nelio Biedermann oder Peter Stamm, die eine starke Geschichte möglichst gut erzählen wollen. Auf der anderen Seite stehen die Erzählskeptiker, die sich dauernd fragen, ob sich das, was sie erzählen wollen, überhaupt erzählen lässt. Dazu gehören Dorothee Elmiger oder Jonas Lüscher.
Beide Seiten haben in diesem Jahr für Furore gesorgt: Nelio Biedermann hat mit nur 22 Jahren einen Coup gelandet: Sein Roman «Lázár» hält sich seit einem Vierteljahr in den Bestsellerlisten. Seine Vorfahren stammen aus ungarischem Adel, und in diesem Milieu spielt auch das Buch.
Auf 300 Seiten erleben wir im Zeitraffer den Untergang der Habsburgmonarchie, die beiden Weltkriege und die Integration Ungarns ins Sowjetreich. Der Roman endet mit der abenteuerlichen Flucht der Lázárs in die Schweiz. Biedermann quält sein Publikum nicht mit vertrackten formalen Kompositionen. Bei ihm spürt man die pure Lust am Fabulieren.
Anders die 40-jährige Dorothee Elmiger, die mit ihrem Roman «Die Holländerinnen» den Deutschen wie den Schweizer Buchpreis abräumte. Böse Zungen werfen ihr vor, sie schreibe genau die Art von Literatur, die Germanistinnen und Juroren lieben, nicht aber das passionierte Lesepublikum. Tatsächlich zweifelt Elmiger an plotgesteuertem Erzählen.
Doch das Klischee von der selbstbezüglichen, sterilen Germanistenprosa trifft daneben: Auch Dorothee Elmigers Buch behauptet sich erfolgreich in den Charts. Sie erzählt so, dass ein starker Sog entsteht, und hat eine gute Story. Es geht, um eine Theatergruppe, die sich auf die Spuren von zwei verschwundenen jungen holländischen Touristinnen im Regenwald von Panama begibt. Elmiger denkt brillant über eine Spektakelkunst nach, die alles «am eigenen Leib» erfahren will. Es geht um fehlende Distanz und Grenzen und natürlich um Gewalt.
Insgesamt ist ihr Werk fulminanter und dichter als jenes von Biedermann. Dorothee Elmiger hat 2025 innerhalb der Schweizer Literatur zweifellos den besten Roman des Jahres geschrieben.
1. Dorothee Elmiger: Die Holländerinnen. Hanser, 159 S.
2. Peter Stamm; Auf ganz dünnem Eis. S. Fischer, 192 S.
3. Jonas Lüscher: Verzauberte Vorbestimmung. Hanser, 352 S.
4. Martina Clavadetscher: Die Schrecken der anderen. Roman. C. H. Beck, 333 S.
5. Meral Kureyshi: Im Meer waren wir nie. Limmat, 216 S.
6. Usama Al Shamani: In der Tiefe des Tigris schläft ein Lied. Limmat, 224 S.
7. Melara Mvogdobo: Grossmütter. Transit, 128 S.
8. Nelio Biedermann: Lázár. Roman. Rowohlt Berlin, 331 S.
9. Christian Kracht: Air. Kiepenheuer & Witsch, 224 S.
10. Nora Osagiobare: Daily Soap. Kein & Aber, 288 S.


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