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Klassiker des Monats

Warum Romantik weniger Mondenschein und Cheminéefeuer bedeutet als vielmehr Aufruhr und Terror

Sie lieben Stephen King, Fantasy und Horrorliteratur? Dann ist es höchste Zeit, den vor 250 Jahren geborenen Ludwig Tieck zu entdecken.

Traut der Literatur alles zu: Romantiker Ludwig Tieck.
Bild: Getty

Unter Romantik stellen wir uns grosse Gefühle, erhabene Landschaften und viel Mondenschein oder Cheminéefeuer vor. Das ist aber nur ein fader Abklatsch jenes romantischen Aufbruchs, der gegen Ende des
18. Jahrhunderts auf deutschem Territorium einsetzte.

Zumindest in sublimierter Form wirkte die Französische Revolution in den diversen deutschen Mini-Fürstentümern nach. Die romantische Literatur probte dort, gut versteckt vor der Zensur, den Aufstand. So lassen sich auch im Frühwerk von Ludwig Tieck Aufruhr, Taumel und Terror beobachten. Krieg soll zur Sprache kommen in dem Sinn, dass Literatur selbst Krieg wird.

Wenn leere Wörter wie Wahnsinn und Raserei plötzlich Wirklichkeit werden

Der junge Tieck stellt sich vor, wie sich leere Wörter wie Wahnsinn und Raserei plötzlich mit Wirklichkeit auffüllen, wie alles «zusammenzubrechen drohte», als käme da ein «wandelndes Gebirge» auf die verschreckten Lesenden zu, «um ihr Eigentum, ihre Gartenumzäunungen, Bibliothek und alles zu verschlingen». Tieck und die Romantiker trauen der Literatur alles zu.

Derselbe Ludwig Tieck, der sich mit den Grössten umgibt, über Shakespeare schreibt und Cervantes übersetzt, macht sich andererseits lustig über die neue Literaturekstase. Wie es sich für einen richtigen Romantiker gehört, vereinigt er Gegensätze und Widersprüche in sich, die Heinrich Heine schon bei ihm bemerkt hat. Da ist am einen Pol der Literaturenthusiast Tieck und am anderen Pol der honette Verstandesmensch, nüchterne Spiessbürger und Ironiker.

Zu Ludwig Tiecks 250. Geburtstag in diesem Mai haben Jörg Bong und Roland Borgards für den Galiani-Verlag einen Band herausgegeben, «Wilde Geschichten» heisst er und zeigt eindrucksvoll, wie viel die heutige Gothic-, Fantasy- oder Horror-Literatur den Romantikern um Tieck verdankt.

«Jeder lügt, hintergeht, spielt den Scharlatan»

So wie er unser Leben durch literarischen Terror okkupieren und uns in einen produktiven Wahnsinn treiben will, hat er auch Figuren geschaffen, denen wir uns freiwillig ausliefern – etwa jene schöne «Demokratin», die männliche Narren betört. Die Männer drängen ihr alles Geld auf, nur um in ihrer Nähe zu sein. Sie sagt: «Jeder lügt, hintergeht, spielt den Scharlatan; die ganze Welt maskiert, und nur die Macht der Schönheit soll von dieser allgemeinen Sucht, andre zu beherrschen, ausgeschlossen bleiben?»

Andere beherrschen: Das gilt auch für die romantische Literatur. Kultur soll uns überwältigen. Was, wie Ludwig Tieck beweist, zu grandiosen Ergebnissen führt, aber wie dann der antisemitische Überwältiger Richard Wagner zeigt, auch zu fanatischen Abirrungen.

Ludwig Tieck: Wilde Geschichten. Herausgegeben und mit Zwischentexten versehen von Jörg Bong und Roland Borgards. Galiani, Berlin, 288 Seiten.

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