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Theater

Warum dieses Kalorien zählen, warum dieser Selbsthass? Ein Turnhallen-Theater erzählt vom Druck der Selbstoptimierung

«Bodybild» der Jungen Marie zeigt Jugendliche, gefangen in den Schönheitsidealen unserer Gegenwart. Am letzten Montag feierte die Inszenierung Premiere in einer Turnhalle des Burghalde-Schulhauses in Baden vor Schülerinnen und Schülern. Am 22. Oktober gibt es eine öffentliche Vorstellung. 

Arbeiten hart an sich: Die neun Darstellerinnen von «Bodybild» in der Turnhalle des Badener Burghalde-Schulhauses.

Wer bin ich? Nie bohrt man so heftig und notorisch in den Leerstellen seines Ich-Gefühls als in seiner Jugend. Die Beschäftigung mit dem eigenen Körper ist obsessiv. Man will schliesslich wissen, ob man da draussen ankommt, mit seinem Körper.

Jugendliche von heute sind um diesen Horrortrip namens Identitätsfindung nicht zu beneiden. Selten war der eigene Körper politischer, selten wurde mehr auf ihn fokussiert – schöne Körper bringen in der Wandelhalle Internet viele Likes. Gleichzeitig wurden diese klischierten Zuschreibungen von Eigenschaften auf äussere Körpermerkmale aber auch nie radikaler in Frage gestellt.

Fremde und eigene Körperbilder

Teil dieses Gegentrends ist auch das Theaterstück «Bodybild» von Julia Haenni. Die mit dem Theater Marie eng zusammenarbeitende Künstlerin hatte es 2018 für die Münchner Schauburg geschrieben. Bei der Uraufführung standen 15 junge Männer und Frauen zwischen 14 und 22 Jahren auf der Bühne.

Das Stück verhandelt Körperbilder über gesellschaftliche Diskurse und über die persönlichen Zugänge zum eigenen Körper der Darstellerinnen und Darsteller selbst. Haenni setzt mit dieser Arbeit ihr viel erprobtes Erfolgsrezept fort: Bühnenfiguren widersetzen sich bestimmten (Geschlechter-)Klischees und entkommen ihnen doch nie ganz.

Mit einer neuen, auf neun Darstellerinnen zugeschnittenen Fassung will die Junge Marie, die jugendliche Sektion des Aargauer Tourneetheaters, das Stück nun in die Turnhallen der Schweiz bringen.

An sich gearbeitet wurde bei der Uraufführung am letzten Montag in einer Turnhalle des Badener Burghalde-Schulhauses. Individuell gestylt, lässt Regisseurin Annina Dullin neun junge Frauen ihre Aufwärmrunden drehen. «Ich muss stark sein und an mir arbeiten. Schönheit ist Arbeit», singt eine das Mantra unserer Zeit.

Die Frauen machen Sit-ups für eine definierte untere Körperhälfte, wirbeln die Arme durch die Luft für eine definierte obere Körperhälfte und versuchen im Gespräch zusammenzukriegen, warum sie sich das alles antun: diese Genussfeindlichkeit, dieses Kalorien- und Nüssezählen, diese Anstrengung, diesen Selbsthass.

Wo kann man abschalten, mal Pause machen von sich selbst? Wie lässt man das Leben nicht an sich vorbeiziehen? Darstellerinnen legen ihre Füsse versuchsweise auf die dicke Turnmatte, um im gleichen Moment wieder hochzuschrecken. «Ich bin die ganze Zeit live, das ist der totale Stress», sagt eine.

Aphrodite, die schaum­geborene Traumfrau

In Baden ist diese Beschäftigung mit dem Körper Frauensache. Die schaumgeborene Aphrodite mit ihrem straffen Bindegewebe und ihrer weissen Haut ist als Rollenvorbild der modernen westlichen Welt von den Darstellerinnen schnell identifiziert. Die Frauen werfen ihre Körper anmutig in Szene, als wären sie Teil eines Gemäldes, das Szenen der griechischen Mythologie festhält. Oder moderner gesagt: Die Frauen posen so, wie man es von ihnen erwartet.

Eine, die dieser Göttinnen-Norm äusserlich nicht entspricht, erzählt, was die «normierte» Schönheit aus ihr und ihrem Körper macht. Eine andere wirft ein, dass man als Frau halt auch mal blute. Und dass das ziemlich wehtun kann. Also gar nicht sexy sei. Eine gewaltige Ladung weiblicher Selbstermächtigung wird da aufs Publikum losgelassen. Die jungen Männer im Publikum fühlen sich sichtbar unbehaglich.

Schlagwörter liegen wie Fremdwörter im Mund

Trotzdem will dieses Diskurs-Feuerwerk nicht recht zünden. Die Inszenierung bleibt genau an der Oberfläche, die sie aufzubrechen vorgibt: Auf Schlagwörter wie Selbstoptimierung, die den jugendlichen Laiendarstellern wie Fremdwörter im Mund liegen, folgt kein Tauchgang, sondern nur ein weiteres Schlagwort.

Das sich in Julia-Haenni-Stücken sonst so natürlich entwickelnde Ballspiel zwischen widersprüchlichen Haltungen will nicht recht in Gang kommen. Dafür sind die wenigen berührenden, in den Text eingebauten persönlichen Geschichten über Bulimie, Druck oder Elternstress das, was die Inszenierung trägt bis zum Schluss, wo endlich die selbstbestimmte «fette Hausparty in dem Haus da in mir drin» gefeiert werden darf.

Bodybild: Nach dem Theaterstück von Julia Haenni. Sa, 22. Oktober, 19 Uhr, Turnhalle B1 der Schule Burghalde, Baden.

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